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Der verbotene Fluss

Der verbotene Fluss

Titel: Der verbotene Fluss
Autoren: Susanne Goga
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wurde, als sie an die freundliche, helle Wohnung am Chester Square dachte, die sie in wenigen Tagen verlassen musste. So viele Abschiede … Sie biss die Zähne aufeinander.
    Auf gar keinen Fall würde sie nach Deutschland zurückkehren, das hatte sie nicht eine Minute lang ernsthaft erwogen. Es war ihr gelungen, eine gute Stellung in England zu finden, und es würde ihr auch ein zweites Mal gelingen, daran zweifelte sie nicht. Nur fragte sie sich plötzlich, ob sie das überhaupt wollte.
    Sie blieb vor dem Haus stehen, um sich zu fassen. Wenn sie sich erst von Emily und ihrem Vater verabschiedet hatte, würde sie Zeit zum Nachdenken finden. Dann würde sie vielleicht begreifen, was sie in den vergangenen Monaten erlebt hatte und was dies für ihr eigenes Leben bedeutete.
    Also stieß sie das dunkelgrün gestrichene Gartentor auf und schritt entschlossen auf das Haus zu.
    Die folgenden Tage verbrachte sie meist mit Emily. In jeder Geschichte, die sie ihr vorlas, in jedem Bild, das sie gemeinsam anschauten, jedem Lied, das sie sangen, schwang ein Hauch von Abschied mit. Sie sprachen selten darüber, doch Charlotte merkte, dass das Mädchen ihre Nähe suchte, sich an sie lehnte oder ihren Arm berührte. Es tat ihr weh, doch sie erwiderte die Zärtlichkeiten, soweit es ihrer Stellung angemessen schien.
    »Darf ich Ihnen schreiben?«, fragte Emily schließlich leise am Abend vor der Abreise. Charlottes Koffer standen gepackt im Flur, am nächsten Morgen würde sie die Wohnung für immer verlassen. Mrs. Clare lief seit Tagen mit roten Augen umher, obwohl sie nichts über die tragischen Ereignisse in Surrey wusste, als mitfühlender Mensch aber den Schmerz der anderen teilte.
    »Das würde mich sehr glücklich machen. Sofern dein Vater einverstanden ist«, antwortete Charlotte. Dann schrieb sie die Adresse der Vermittlungsagentur auf einen Zettel. »Ich weiß nicht, wo ich demnächst arbeiten werde. Wenn du deine Briefe dorthin schickst, erhalte ich sie auf jeden Fall. Und sobald ich in einer neuen Familie lebe, werde ich dir die Adresse schreiben.«
    Emily nahm den Zettel entgegen und schob ihn vorn in Pame las Kleid. Der sicherste Ort; die Puppe würde sie überallhin begleiten.
    »Es tut mir leid«, sagte Emily.
    »Was denn?«, fragte Charlotte überrascht.
    »Dass ich Sie allein lasse.«
    Sie atmete tief durch und strich dem Mädchen über den dunklen Schopf. »Mach dir keine Vorwürfe, daran bist du doch nicht schuld! Es ist eben so gekommen. Manche Dinge kannst du nicht ändern. Wer klug ist, erkennt das und findet sich damit ab. Und spart seine Kräfte für die Dinge, die sich ändern lassen.«
    Emily schaute sie nachdenklich an. Dann ging ein Leuchten über ihr Gesicht. »Aber Sie sind ja nicht allein in London.«
    »Wie meinst du das?«
    »Mr. Ashdown wohnt doch hier.«
    Charlotte lächelte unwillkürlich. Sie hatte ihm zurückgeschrieben, dass sie seine Einladung annehmen werde, nachdem die Clayworths abgereist seien. Bis dahin wollte sie jede Minute mit dem Mädchen genießen.
    Am nächsten Morgen war es so weit. Sie standen zu dritt auf dem Gehweg vor dem Haus. Sir Andrew hatte Charlotte eine Mietdroschke bezahlt, die sie in ihre neue Unterkunft bringen würde, daneben wartete schon der Wagen, mit dem er und Emily zum Bahnhof fahren würden. Charlotte gab Sir Andrew die Hand, und er dankte ihr noch einmal mit ungewohnter Herzlichkeit für ihre Hilfe.
    Als sie sich Emily zuwandte, ließ sie jede Zurückhaltung fallen und drückte das Mädchen an sich. Sie spürte, wie sich die kleinen Hände in ihre Ärmel krallten, und biss sich von innen auf die Wange, um die Tränen zu unterdrücken.
    »Ich hab dich lieb«, flüsterte sie Emily ganz leise ins Ohr.
    »Ich Sie auch. Und ich schreibe Ihnen ganz bald«, flüsterte das Mädchen zurück.
    »Wir müssen los, Emily«, sagte Sir Andrew, und Charlotte löste sich nicht ohne eine gewisse Erleichterung aus der Umarmung. Länger hätte sie es nicht ertragen.
    Sie gab ihrem Kutscher ein Zeichen, noch einen Moment zu warten, und schaute Sir Andrews Wagen hinterher, bis er um die nächste Ecke gebogen war.
    Ein Dienstmädchen – so mager und blass, dass Charlotte ein schlechtes Gewissen bekam – schleppte ihr Gepäck in den ersten Stock, während sie mit der Vermieterin das Geschäftliche regelte.
    »Für zwei Monate also.«
    »Ja, Mrs. Farley. Ich bin zuversichtlich, dass ich in dieser Zeit eine Stelle finden werde.«
    Die Frau schaute Charlotte prüfend an. »Nun, Sie
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