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Der verborgene Hof: Roman (German Edition)

Der verborgene Hof: Roman (German Edition)

Titel: Der verborgene Hof: Roman (German Edition)
Autoren: Jay Lake
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Schmerz auf und fand mich zwischen den Verwundeten und ihren Waffen auf der Straße wieder.
    Der Rektifizierer erhob und schüttelte sich, doch seine Bewegungen schienen beeinträchtigt zu sein. Auch mich ließ der Schmerz wanken, während ich Ausschau nach einer Waffe hielt. Der Speer war verschwunden, doch ich stolperte fast über ein Schwert. Der Griff war groß, die Klinge zu schwer, ich hob sie dennoch auf.
    Die große Genette kam nicht in meine Richtung, sondern wandte sich Ausdauer zu. Der Rektifizierer lief torkelnd. Hautlos stellte sich ihm in den Weg, wurde jedoch mit einem mächtigen Hieb zur Seite geschleudert.
    Der Ochse senkte nicht einmal seine Hörner. Er starrte auf den Angreifer mit Blitzen in den dunkelbraunen Augen, während dieser auf seine Schultern sprang wie ein jagender Panther beim Schlagen seiner Beute.
    Unbewusst hatte ich zu laufen begonnen, wobei ich das schwere Schwert hinter mir herzog. Beim Brüllen des Ochsen ließ ich die Waffe fallen und spurtete die letzten paar Schritte, um den Schwanz des Rektifizierers zu packen.
    »Helft mir, ihn aufzuhalten!«, schrie ich. »Bevor er unseren neuen Gott tötet!«
    Der Faktor war bei mir. Zwei der Stadtwachen. Chowdry. Eine Genette, die ich nicht kannte. Mutter Eisen.
    Unser kleiner Mob krallte und zerrte am Rektifizierer. Die Fingerknöchel an seinem Fell waren wie Knöpfe. Seine Haut wurde auseinandergezogen. Haare gaben nach. Einige wurden ausgerissen, andere knisterten mit den letzten Lebenskräften ihrer einstigen Besitzer.
    Schließlich gelang es uns, den Rektifizierer von Ausdauer herabzureißen. Der Ochse brüllte erneut und stürmte dann mit seinem Gefolge von Beschützern fort in die Dunkelheit. Kleine Blumen blühten, wo seine Blutstropfen auf das Pflaster fielen.
    Ich trat zurück, als ein Dutzend Helfer den Rektifizierer auf den Boden niederrangen. Meine Lungen drohten, in ihrem Verlangen nach Luft zu bersten. Mein Körper zitterte, während ich meine Hände über den Knien aufstützte und mich nach vorn beugte.
    Schließlich richtete ich mich auf und sah mich um.
    Der Rektifizierer lag noch am Boden. Klingen, Armbrüste und Pistolen hielten ihn dort. Der Ochse war fort, ebenso die anderen Göttlichen und die Geister. Eine kleine Gruppe von Leuten umringte uns, und der Kreis wurde enger, als mehr und mehr Menschen auf die Roggenstraße strömten.
    »Noch jemand?«, fragte ich müde.
    Der Tavernenwirt kam und nahm mich am Arm. »Ich glaube, das war es.«
    »Gut.« Ich hatte keine Ahnung, wovon er sprach.
    Die Menschen drängten sich näher. Frei blieb nur eine schmale Gasse, wo der fliehende Ochse eine Spur blühender Lilien im Mondlicht hinterlassen hatte. Sie waren keine Überlebenden des Übergangsrates. Sie waren keine Priester und Bankiers. Sie waren einfach nur Leute.
    Fragen standen in ihren Gesichtern. Inmitten des Stimmengewirrs wurde mir klar, dass sie sich selbst oder einander oder mich fragten, was geschehen war. Es herrschte keine Furcht, obgleich es viele Tote und Verwundete gab, die bereits weggeschafft wurden.
    »Ich will euch eine Geschichte erzählen«, sagte ich leise. Irgendwie schallte meine Stimme weithin und ließ das Gemurmel verstummen. Als ich den Mund erneut öffnete, sprach ich zu tausend lauschenden Ohren. Schwalben zwitscherten hoch über mir.
    »Ich will euch eine Geschichte erzählen«, wiederholte ich, »über ein Volk, das seine Macht vor langer Zeit verlor. Ein Mann aus einer Stadt nahm sie ihnen weg. Viele waren damit einverstanden, aber nicht alle.«
    Sie hörten interessiert zu. Ich fuhr fort: »Dieser Mann erhob sich selbst zum Prinzen seiner Stadt. Er herrschte viele Generationen lang, und mit ihm herrschten Friede und Wohlstand. Es war eine Zeit der Ruhe. Die Götter verstummten, denn diese Macht wiegte sie in Schlummer. So ging die Seele der Menschen verloren, denn was sind die Götter anderes als die Summe all derer, die ihnen folgen? Freiheiten gingen verloren, denn die Macht war nur auf die eigene Erhaltung bedacht. Dennoch war das Regime gut für die meisten.
    Nach langer Zeit verschworen sich einige des alten Volkes mit einigen der Stadtmenschen, um den Prinzen seiner Macht zu berauben. Die Stadt würde wieder frei sein. Sie würde eigene Herrscher, eine eigene Zukunft und wieder Götter haben. Die Menschen hätten ihre Seelen wieder und das Schicksal in ihrer Hand.«
    Ich hielt inne, aber alle Blicke waren noch immer auf mich gerichtet.
    »Dieser Versuch ging schief. Die Macht wurde
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