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Der Vampyr

Titel: Der Vampyr
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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hatte er Recht: Andrejs Rü-
    cken fühlte sich an, als würde er ganz langsam in Stücke gerissen, obwohl das genaue Gegenteil der Fall war. Das Leben kehrte in seine Beine und seinen Leib zurück, aber es war ein qualvoller, unendlich schmerzhafter Prozess. Der Pirat beugte sich vor und schnüffelte.
    »Du stinkst, Giaur«, benutzte er das arabische Wort für Ungläubiger. Andrej antwortete nicht darauf. Es gelang ihm jetzt kaum noch, einen Schrei zu unterdrücken, und er mußte all seine Willenskraft aufbieten, um die Beine still zu halten. Die Regeneration war fast abgeschlossen. Wenn Abu Dun jetzt begriff, das er nicht so hilflos war, wie es den Anschein hatte, dann war es um ihn geschehen.
    »Bist du allein gekommen oder hat Bathory dir eine Abteilung seiner Spielzeugsoldaten mitgegeben?«, fragte Abu Dun, beantwortete seine eigene Frage aber gleich selbst, indem er den Kopf schüttelte und fortfuhr:
    »Nein. Hättest du Hilfe, wärst du das Risiko nicht eingegangen, dich hier einzuschleichen … aber was ist mit dem Jungen? Ist dieser Teufelsbengel auch bei dir? Man hat mir gesagt, er wäre tot, aber dasselbe habe ich auch über dich gehört. Ich denke, er ist auch irgendwo in der Nähe. Es ist wohl besser, wenn ich ein paar dieser unfähigen Narren ans Ufer schicke, um nach ihm zu suchen.«
    Diesmal hatte Andrej sich nicht mehr gut genug unter Kontrolle, um Abu Dun nicht sehen zu lassen, wie nahe er der Wahrheit gekommen war. Frederic war tatsächlich am Ufer zurückgeblieben und wartete auf ihn. Natürlich würde der junge sehen, das nicht er es war, der zurückkam, sondern Abu Duns Männer, aber das beru-higte Andrej nicht. Frederic war ein Kind, das dazu neigte, schreckliche Risiken einzugehen, wie es Kindern eigen ist. Und er vertraute viel zu sehr auf seine vermeintliche Unverwundbarkeit. Abu Dun lachte.
    »Dann wirst du deinen jungen Freund ja bald wieder sehen«, sagte er. »Ihr werdet zusammen sterben.« Er wandte sich um.
    »Lauf nicht weg«, sagte er höhnisch, während er hinausging.

    2
    Nachdem ihn der Pirat allein gelassen hatte, gestattete sich Andrej einen tiefen, lang andauernden Schmerzenslaut und ließ den Kopf zurücksinken. Seine Beine zuckten unkontrolliert. Das Leben kehrte mit Feuer und Gewalt in seine Glieder zurück. Er war schon oft verwundet worden, aber selten so schwer. Indem er sich zu ent-spannen versuchte und jeden Gedanken abschaltete, konnte er die Heilung beschleunigen. Auf diese Weise gab er seinem Körper Gelegenheit, seine ganze Energie auf das Regenerieren zerrissener Muskeln und zerbrochener Knochen zu richten. Aber dieser Vor-gang brauchte Zeit. Wie lange würde Abu Dun brauchen, um seinen Männern Anweisung zu geben und zurückzukommen? Sicher nicht mehr als wenige Minuten. Aber diese Zeit mußte reichen. Sie reichte. Andrej versank in eine Art Trance, in der er zuerst jeden bewussten Gedanken, dann sein Zeitgefühl und schließlich sogar den Schmerz abschaltete. Sein Körper erholte sich in dieser Zeit, schöpfte Energie aus geheimnisvollen Quellen, deren Natur selbst Andrej nicht klar war, und kehrte in seinen unversehrten Zustand zurück. Als er Abu Duns Schritte draußen auf dem Gang hörte, öffnete er die Augen und lauschte noch einmal konzentriert in sich hinein. Er war bereit. Seine Verletzungen waren verheilt, aber er war noch sehr schwach. Die Heilung hatte ungewöhnlich viel Kraft gekostet. Er war auf keinen Fall in der Lage, einen zweiten Kampf mit Abu Dun durchzustehen. Der Pirat kam herein - zu Andrejs Erleichterung allein -, warf die Tür hinter sich zu und lachte böse, als er sah, das Andrej die Hand in Richtung des Schwertes ausgestreckt hatte, ohne es zu erreichen.
    »Eines muss man dir lassen, Hexenmeister«, sagte er. »du bist zäh.
    Du gibst nicht auf, wie?«
    Dann kam er auf eine leichtsinnige ldee: Er zog einen Krummsäbel unter dem Kaftan hervor und schob mit ihm das Sarazenenschwert in Andrejs Richtung.
    »Du willst kämpfen, Giaur?«, höhnte er.
    »Tu es. Nimm dein Schwert und wehr dich!« Andrejs Hand schloss sich um den Griff der vertrauten Waffe, des einzigen wertvollen Besitzes, den ihm sein Stiefvater Michail Nadasdy hinterlassen hatte. Abu Dun lachte noch immer und Andrej trat ihm mit solcher Wucht vor den Knöchel, das er haltlos zur Seite kippte und auf einen Tisch fiel, der unter seinem Aufprall in Stücke brach. Noch bevor er sich von seiner Überraschung erholen konnte, war Andrej auf den Füßen und über ihm. Sein Schwert
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