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Der Untergang der Hölle (German Edition)

Der Untergang der Hölle (German Edition)

Titel: Der Untergang der Hölle (German Edition)
Autoren: Jeffrey Thomas
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und imitierten Bedürfnisse und konnte entsetzliche Schmerzen erleiden, egal wie illusorisch sie sein mochten. Und so lag sie da und rührte die Glieder nur sehr behutsam, mit Bewegungen, die ähnlich langsam waren wie die Ausbreitung der Risse im Stein über die langen Jahre, die zu zählen sie zu spät begonnen und zu früh wieder aufgehört hatte. Doch was bedeutete schon Zeit für die Unsterblichen?
    Ja, sie konnte sich daran erinnern, dass sie tot war. Und ja, als sie sich ausreichend erholt hatte, um es zu versuchen, konnte sie sich auch entsinnen, wie Gehen funktionierte, obwohl sie sich dabei tapsig wie ein Kleinkind anstellte. Doch sie konnte es sich leisten, geduldig zu sein; wenn es etwas gab, womit sie sich mittlerweile auskannte, dann war es Geduld.
    Hätte sie sich doch nur an ihren Namen erinnern können!

2. Der Gefangene
    D ie Schiebetür war in der Schiene festgerostet, daher suchte sie mit ihren nackten Füßen festeren Stand und zog mit aller Kraft daran, sodass der schuppige Rost des Türgriffs in ihre Hände schnitt. Sie zuckte zusammen. Doch die Wunden und Abschürfungen an Kopf und Körper, die sie davongetragen hatte, als sie sich aus ihrer Gussform quetschte, schwanden zunehmend. Ihr fiel ein, dass ihr Körper sich selbst nach schweren Verwundungen rasch regenerierte. Wie sonst hätte die Haut so schnell nachwachsen können, die ihr die Arme des Foltergeräts an der Decke aus dem Gesicht gerissen hatten? Wie hätten die abgeschnittenen Lippen heilen können, die herausgezogenen Zähne, die beiden Augen, die langsam aus ihren Höhlen getrieben worden waren? Sie versuchte, sich nicht daran zu erinnern. Während ihr Körper stets makellos wiederhergestellt wurde, hatte sie das Gefühl, dass ihr Geist so dick vernarbt war, dass sie nie wieder klar denken konnte.
    Ihr Name. Hatte sie ihn einfach nur vergessen, weil zu viele Jahre vergangen waren, in denen niemand ihn benutzt hatte? Jahre, in denen sie so sehr Gefangene war, dass sie zusammen mit der Freiheit auch ihre Identität verloren hatte – Jahrzehnte (Jahrhunderte? Jahrtausende? ) vernichtenden Wahnsinns, geboren aus endloser Qual? Oder hatte sie vor langer Zeit durch eigene Willensanstrengung aufgehört, sich selbst zu kennen, um sich innerlich von den Folterungen zu distanzieren? Hatte sie ihr wahres Ich geschützt, indem sie es versteckte, so wie sie in diesem Gewölbe versteckt gewesen war? Hatte sie diese leidende Hülle als Doppelgänger eingesetzt und den Folterknechten geopfert, die sich an ihr gütlich taten? Wenn das so war, wo befand sich dann dieses andere Selbst – und würde sie es jemals zurückholen können, jemals seinen Namen kennen?
    Sie zog ächzend an der Tür und ignorierte den Schmerz in ihren Händen, so gut sie konnte, indem sie an ihre bevorstehende Selbstheilung dachte. Schweiß rann ihren Brustkorb hinab; oh, wie schlau war dieses Ektoplasma! Knirschend und quietschend öffnete sich die Tür schließlich ein Stück. Sie zerrte und zog, schob sie wieder zu und riss dann erneut mit einem kräftigen Ruck an ihr. Wieder einige Zentimeter mehr. Sie machte beharrlich weiter, lange Zeit, bis die Lücke groß genug war, dass sie sich hindurchquetschen konnte, ohne zu viel ungeschützte Haut abzuscheuern.
    Die dahinterliegende Räumlichkeit wirkte wesentlich ausladender als ihre bescheidene kleine Grabkammer. Nachdem sie so lange Zeit in ihrem eigenen Gefängnis hinaufgestarrt hatte, fiel ihr als Erstes auf, dass sich die Decke so weit oben in der Dunkelheit verlor, als befände sie sich im Inneren eines Turms oder, angesichts der industriellen Atmosphäre, in einem alten Schacht oder Schlot. Auch konnte die Luft hier freier zirkulieren; sie wirkte zwar immer noch klamm, aber deutlich weniger verbraucht und abgestanden. Als sie weiter ins Innere trat und direkt den Schacht hinaufblicken konnte, erkannte sie ganz oben die Umrisse eines Ventilators, dessen Blätter träge rotierten, stillstanden und sich von Neuem drehten. Der Motor war beschädigt oder abgeschaltet worden, doch verirrte Luftzüge hielten ihn weiterhin in Bewegung.
    Staubflocken rieselten in den Schacht hinab und schwebten um sie herum in der Luft. Sie wischte sich ein paar der kleinen weißen Schuppen von der Schulter. Kein Schnee. Sie tippte auf Asche.
    Durch die wirbelnden Flocken erblickte sie den einzigen Bewohner dieser Kammer.
    Knapp oberhalb ihres Kopfes erstreckte sich ein Netz, das mit Eisenringen an den Wänden verankert war. Zunächst hatte
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