Der Untergang der Hölle (German Edition)

»Bitte … lasst mich nicht wieder allein. Ich war so lange einsam.«
    Die Mutter stand von ihrem Stuhl auf und schlang die Arme um die alte Dame. »Es tut mir leid, Judy, es tut mir so leid. Wir wussten es nicht. Wir wussten nicht, dass du noch wach bist.«
    Andrew kam näher, um sich der Umarmung anzuschließen, und sagte: »Keine Sorge, Mom. Ich denke, wir haben jetzt lange genug geschlafen.«
    Vee erhob sich von ihrem Stuhl, immer noch nicht ganz erholt, aber bereit, ihre Odyssee durch das Badezimmerfenster und den Kriechgang fortzusetzen. Sie wollte sich nicht wie ein Gast verhalten, der nach einer gelungenen Party das Signal zum Aufbruch verpasste. »Also … Tut mir leid wegen des ganzen Durcheinanders.«
    Andrew stand auf und schüttelte ihre Hand. »Ach, das geht schon in Ordnung – so habe ich wenigstens etwas zu tun. Vielleicht bauen wir hier ein bisschen um.« Er musterte Judy und sagte in nachdenklichem Tonfall: »Wenn Sie nicht gekommen wären, hätten wir vielleicht nie erfahren, dass unsere Mom so lange allein war.«
    »Ich wollte nicht versuchen, euch aufzuwecken«, versicherte Judy und unterdrückte ein Schluchzen. Jetzt wurde sie von ihrem Enkelsohn und der Mutter gemeinsam umarmt. »Ich wollte nicht selbstsüchtig sein.«
    Vee machte einen Schritt auf den Durchgang zu, drehte sich dann aber auf der Schwelle noch einmal um: »Vielleicht werdet ihr irgendwann selbst darüber nachdenken, nach Freetown zu kommen. Es könnte die Mühe wert sein; zumindest, wenn es so zivilisiert ist, wie es den Anschein hat.«
    »Ich weiß nicht … vielleicht«, sagte Andrew, aber er klang nicht sonderlich überzeugt. Vee konnte es ihm nicht übel nehmen. Wenn die Wohnung ein bisschen größer gewesen wäre – und nicht so ein rastloser Geist in ihr toben würde –, hätte sie sich vielleicht sogar dazu entschlossen, hierzubleiben, abgeschottet von dem Grauen dort draußen.
    »Sie können jederzeit wiederkommen und uns besuchen«, bot ihr Judy hoffnungsvoll an. Die alte Frau lächelte und fügte hinzu: »Ihre neue Tante Judy besuchen.«
    »Danke. Danke, Tante Judy.«
    In dem Wissen, dass sie wahrscheinlich keinen von ihnen jemals wiedersehen würde, fertigte Vee einen geistigen Schnappschuss von der um den Tisch versammelten Familie an. Wenn sie schon keine Erinnerungen an ihre eigenen Blutsverwandten mehr besaß, würde sie sich wenigstens diese nicht nehmen lassen. Dann machte sie sich endgültig auf den Weg, um ihr Knochengewehr zu holen und in die Hölle zurückzukehren.

Jeffrey Thomas

    www.jeffreythomas.com
    Jeffrey Thomas, geboren am 3. Oktober 1957, lebt in Massachusetts, USA.
    Er ist einer der kreativsten Autoren der Gegenwart, ein Hieronymus Bosch der Literatur. Seine Welten sind sehr dunkel, sehr grotesk, doch immer voller unheimlicher Spannung. Fantastische Literatur at its best.
    Jeffrey Thomas bei FESTA: Punktown – MonstroCity – Tagebuch aus der Hölle – Geschichten aus dem Cthulhu-Mythos – Der Untergang der Hölle

Ungewöhnlich, originell, beeindruckend.

    Zwölf Erzählungen zu Lovecrafts unsterblichem
Cthulhu-Mythos
    Die Gebeine der Großen Alten
    Die Avatare der Großen Alten
    Die Kinder der Großen Alten
    Mein Frau, der Shoggoth
    Hinter undurchsichtigem Glas
    Aus dem Bauch der Hölle
    Die Fratze Baphomets
    Leichenkerzen
    Die Kinder des Drachen u. a.
    Infos und Leseprobe: www.Festa-Verlag.de

Nichts lebt für immer ... außer das Böse.

    Brinkley Springs ist eine ruhige, kleine Stadt. Einige sagen, die Stadt liege im Sterben ... Sie wissen nicht, wie recht sie haben!
    Fünf geheimnisvolle Geschöpfe statten Brinkley Springs einen Besuch ab. Vor Jahrhunderten wurden sie aus den Schatten geboren, einzig, um zu zerstören ... zu töten ... zu fressen. Sie bringen Terror und Blutvergießen. In dieser Nacht wird die Stadt nicht länger so still sein. Schreie werden durch die Finsternis hallen. Aber wird sie noch irgendwer hören können?
    The Horror Review: »Keenes Name sollte in einem Atemzug mit King, Koontz und Barker genannt werden. Ohne Zweifel ist er einer der besten Horrorautoren, die es gibt.«
    Infos: www.Festa-Verlag.de

Impressum
    Die amerikanische Originalausgabe The Fall of Hades erschien 2010 im Verlag Dark Regions Press.
    Copyright © 2010 by Jeffrey Thomas
    Bonusstory: Die verlorene Familie. ›The Lost Family‹
    Copyright © 2011 by Jeffrey Thomas
    © dieser Ausgabe 2013 by Festa Verlag, Leipzig
    Lektorat: Alexander Rösch
    Titelbild: Anna Bastrzyk
    Alle Rechte