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Der Untergang der Hölle (German Edition)

Der Untergang der Hölle (German Edition)

Titel: Der Untergang der Hölle (German Edition)
Autoren: Jeffrey Thomas
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der Frau nach und sie zuckte zusammen. Es war ein Wort, das sie aus sich selbst verdrängt hatte, und nun traten ihr wieder flackernd die damit verbundenen Bilder vor Augen, um deren Auslöschung sie sich so sehr bemüht hatte. Die schemenhaften Gestalten, die den Folterapparat in der Decke bedient hatten, gewannen an Schärfe. Schwarze, passgenaue Anzüge aus eng anliegendem Leder oder Gummi. Gesichter, die so blass waren, dass sie wie weiß getüncht wirkten, leidenschaftslos und bildschön gleichermaßen. Und sie erinnerte sich an Flügel  …
    »Ich bin kein Dämon«, erklärte sie dem Kopf. Plötzlich blinzelte sie, als ob sie versuchte, einen Umriss am Horizont zu erkennen. Weitere Erinnerungen schienen knapp außerhalb ihrer Reichweite in ihrem Geist herumzuschwirren. Nein, sie konnte kein Dämon sein, und dieser Mann auch nicht. Sie waren beide ihre Opfer gewesen; Geiseln oder Gefangene. Und dieser Mann war …
    »Vater?«, fragte sie, immer noch blinzelnd, doch diesmal an den baumelnden, umgekehrten Kopf gewandt. In seiner Bronzehülle wirkte er wie der Klöppel einer riesigen Kirchturmglocke. Kirchturm … Kirche …
    »Dämon!«, flüsterte er. »Schwindler … Schwindler! Du kannst mich nicht täuschen! Du kannst mich nicht zerstören! Hörst du? Wir sind nicht alle so schwach, wie ihr denkt. Mein Glaube ist stärker als mein Fleisch, und dieses Fleisch ist nicht echt! Ihr kommt nicht an meine Seele heran, ihr Scheißer, ihr beschissenen Scheißer! « Die Zähne schnappten mit einem furchtbaren Klappern wild durch die Luft. Etwas verlieh dem Muskelstrang, der ihn stabilisierte, genügend Kraft, um den Kopf weiter umherschwingen zu lassen.
    »Bist du mein Vater?«, fragte die nackte Frau nachdrücklicher und ignorierte die Schimpftirade.
    »Vater unser im Himmel geheiligt werde dein Name«, wetterte der Kopf, »dein Reich komme dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden …«
    Nun, er musste es ihr nicht erst bestätigen; die Sache war jetzt klar. Doch welches Gefühl auch immer das Wort Vater einmal in ihr ausgelöst haben mochte, es war längst ausgebrannt oder hinter schützende Barrieren gepfercht worden. Es fanden sich nur sehr trübe Erinnerungen an ihr hilfloses Schluchzen und Heulen, während sie durch die geöffnete Metalltür zwischen beiden Folterkammern zur Zeugin seiner Qualen wurde. Sie konnte sich nicht mehr entsinnen, welche ermutigenden Worte sie einander zuriefen oder welche Gespräche sie zu führen versuchten, nachdem ihre Peiniger sich zurückgezogen hatten.
    Der Kopf leierte: »… unser tägliches Brot gib uns heute und vergib uns unsere Schuld wie auch wir vergeben unsern Schuldigern und führe uns nicht in Versuchung sondern erlöse uns von dem Bösen dem Bösen dem Bösen dem Bösen …«
    Sie wollte weinen, und sei es nur, um sich wieder lebendig zu fühlen; doch das war sie nicht und würde es nie wieder sein, nicht wahr? Wie sehr hatte sie diesen Mann im Leben geliebt? Sie versuchte, ihn sich in seiner sterblichen Gestalt zu vergegenwärtigen. Seltsamerweise konnte sie in ihren Gedanken nur ein geistiges Bild von ihm heraufbeschwören, das ihn auf einem leuchtenden Bildschirm zeigte. Fernsehen, das war das Wort, das sie suchte. Vater in tadelloser Kleidung, groß und stolz, mit weit ausholenden Gesten, wie er sich an ein Publikum wandte, das sowohl vor ihm als auch weit entfernt saß; mit seiner strahlenden, geradezu elektrischen Aura. Auf diese Weise schien er ihr entzogen worden zu sein; ein Vater, über den sie ebenso viel aus dem Fernsehen wusste wie aus ihrem persönlichen Verhältnis.
    »… denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit Amen Amen Amen Amen Amen Scheiße Scheiße neeein tut mir nicht wieder weh ihr Scheißer ihr beschissenen Dämonen wo wart ihr hä? Wo seid ihr hingegangen? Ihr habt mich glauben gemacht, ihr wärt weg! Ihr habt mich glauben gemacht, ihr wärt weeeg. «
    Es gelang ihr, sich eine weitere Erinnerung von ihm ins Gedächtnis zurückzurufen, wenn auch deutlich schwächer. Auch diesmal wirkte er charismatisch, doch eher wie eine Art militärischer Würdenträger, wie ein General, der seine zahllosen weiß gekleideten Soldaten kommandierte – seine Armee für irgendeinen Heiligen Krieg anheizte. Sie sah sich selbst wie eine gute Tochter an seiner Seite stehen, die seine Überzeugungen teilte oder sich zumindest ihm gegenüber loyal verhielt. War da nicht auch eine Mutter neben ihnen und ein jüngerer Bruder? Und
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