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Der unsichtbare Mond

Der unsichtbare Mond

Titel: Der unsichtbare Mond
Autoren: James A. Owen
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manchmal bei der Zeitung zusammenarbeitete, im Soame’s auf einen Kaffee treffen, um mit ihm über einen neuen Auftrag zu sprechen, den er sich zusammengesponnen hatte – über Alligatoren in der Kanalisation oder etwas ähnlich Dämliches. Doch aus irgendeinem Grund fühlte sie sich genötigt, am Frühstückstisch sitzen zu bleiben und nachzudenken. Es musste etwas mit Kevin zu tun haben – über den Schinken in ihrem Rührei grübelte Meredith niemals nach. Es war ein Jammer, dachte sie, dass nichts übrig blieb, um das Blaine und Helen McMillan trauern konnten (jedenfalls nichts, das Meredith nicht später noch brauchen würde). Ein solches Unglück kann für Eltern niederschmetternd sein, besonders wenn sich keine stichhaltige Erklärung findet. Allerdings bestand immer noch die Möglichkeit, dass sie sich einfach einreden würden, er sei verschwunden oder weggelaufen.
    Das war es, dachte Meredith mit einem selbstzufriedenen Nicken, das war die Lösung. Sie sollte sie in der Annahme bestärken, dass er einfach nur weggelaufen sei und nicht irgendwo tot in einem Graben liegen oder als Fleischbeilage einen Eintopf bereichern würde. Es wäre wohl nur anständig, ihnen etwas Hoffnung zu geben. Schließlich sollte jedermann Hoffnung haben – und jeder, der in der Lage war, sie zu bieten, es aber nicht tat, musste schon ein ziemlich schlechter Nachbar sein.
    Vielleicht, dachte Meredith, während sie Tasse und Untertasse in die Spüle zu dem restlichen Geschirr räumte, sollte sie nach ihrem Treffen mit Harald ein wenig vom Kuchen ihrer Großmutter zu den McMillans hinüberbringen. Und vielleicht besaß sie sogar das nötige Einfühlungsvermögen, um ihnen verständlich zu machen – auch wenn sie ihnen nicht wirklich die Wahrheit sagen konnte, kein Sterbenswörtchen –, dass es natürlich furchtbar war, ein Kind zu verlieren. Allerdings hätte es einen Mangel an Achtung bedeutet, wenn der Junge umsonst gestorben wäre.

 
KAPITEL EINS
Mondtag
     
    Die meisten Kriminalgeschichten kreisen um vier Fragen: Wer, Wo, Wie und Warum. Die Frage nach dem Wo ist die einfachste, da der Tatort für gewöhnlich mit dem Ort übereinstimmt, an dem die Leiche gefunden wird. Im Fall von Merediths Vater handelte es sich um eine kleine Schonung auf halbem Wege zwischen Silvertown und Brendan’s Ferry. Ein Freund der Familie hatte ihr kurz nach ihrer Ankunft in New York geholfen, dorthin zu humpeln. Ihrer Einschätzung nach war das Wie wohl als Nächstes zu beantworten. Sind natürliche Ursachen und Unfälle erst einmal ausgeschlossen, wird die Leiche auf ungewöhnliche oder verdächtige Schrammen oder Schädelverletzungen untersucht. Und da sich der Kopf ihres Vaters nicht mehr auf seinem Hals und, genau genommen, überhaupt nicht am Tatort befand, schien Mord wahrscheinlicher zu sein als ein Schlaganfall. Das Warum sieht manchmal ein Blinder, und manchmal liegt es völlig im Verborgenen. Obgleich sie in diesem Fall den Verdacht hatte, dass es ziemlich eng mit der Frage nach dem Wer zusammenhing, denn ihr Vater hatte den größten Teil der letzten zwanzig Jahre in Silvertown gelebt und selten mehr als nur einen Tagesausflug unternommen. Das Rätsel bestand also darin, die verfügbaren Wers zusammenzutragen und durchzugehen, wobei sich hoffentlich die Antwort auf die Frage Welcher herauskristallisierte.
    Dann, sagte sich Meredith, und das schwöre ich bei Gott, werde ich dem Scheißkerl das Herz herausreißen und es aufessen.
    Soame’s wardas letzte Gebäude in einer breiten, von Bäumen gesäumten Straße. Es hätte, als ein graubraunes Gebäude unter vielen, in einer Gegend voller baumbestandener Straßen wenig Aufsehen erregt – wäre da nicht die Kuppel gewesen.
    Die Inhaber waren ein höfliches japanisches Ehepaar, Tetsuo und Fujiko Kawaminami, der Kürze halber Ted und Fuji genannt, die vor ungefähr zwanzig Jahren nach Silvertown gekommen und damals noch typische Immigranten gewesen waren. Sie hatten ein kleines Haus mit zwei Zimmern und Atelier gemietet, das jeder vernünftige Mensch in der Stadt mied, denn es gehörte der alten Lady Watkiss, die alle Menschen gleichermaßen hasste. Sie sprachen so gut wie kein Englisch und erwarben unglücklicherweise gleich mit ihrer ersten Mahlzeit einen Eindruck von amerikanischer Verkaufskunst. Während Tetsuo unter dem wachsamen Auge der alten Lady Watkiss ihren kärglichen Besitz in das Haus einräumte und sich sein Lächeln angesichts der stetigen Salven ihrer kaum übersetzbaren
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