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Der unsichtbare Mond

Der unsichtbare Mond

Titel: Der unsichtbare Mond
Autoren: James A. Owen
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Unflätigkeiten ein wenig verhärtete (»Gab noch nich’ viele Japsen hier, keine an die ich vermietet hätte, jedenfalls… Na, wohl besser als wenn ihr Chilifresser wärt… Allerdings haben die Chilifresser nie Pearl Harbor hochgejagt… Kochen trotzdem ganz gut… Mögt ihr Mexikanisch, oder bloß diesen Fischreis?«), ging Fuji zu dem kleinen Lebensmittelgeschäft sechs Häuserblocks weiter, an dem sie bei ihrer Ankunft vorbeigefahren waren. Sie suchte die Regalreihen nach Angeboten für das Mittagessen ab und kam zu dem Schluss, dass sie nun, da sie in Amerika waren, auch amerikanisch essen sollten. Also kaufte sie sechs Packungen mit dem Bild schöner goldener Brathähnchen auf der Vorderseite.
    Als Tetsuo und Fuji die erste davon öffneten – es handelte sich in Wirklichkeit um Pflanzenfett –, nahmen sie an, sie hätten es mit einem Fließbandfehler der Fabrik zu tun, und öffneten eine weitere, doch das Ergebnis blieb das gleiche. Nach der vierten Packung kämpfte Fuji mit den Tränen.
     

     
    Als die Kawaminamis erst einmal andere essbare Dinge außer Bratfett ausfindig gemacht hatten, integrierten sie sich schnell in die kleine New Yorker Gemeinde. Der St. Lawrence River lag nur einige Meilen weiter nördlich, und die St. Lawrence Wasserstraße, die den Atlantik mit den großen Seen verband, sorgte für eine ungewöhnliche Mischung aus Immigranten und durchreisenden Besuchern der verschiedensten Kulturen. Einige der Gemeinden dieser Region waren von Siedlern aus den baltischen Ländern gegründet worden, doch zu einem gewissen Grad war beinahe jede ethnische Gruppe vertreten. In Silvertown waren Tetsuo und Fuji allerdings die ersten Asiaten, und das machte sie ein wenig auffälliger. Es kam ihnen zugute, dass sie durchaus gesellig waren, über ihre Vergangenheit jedoch weitgehend schwiegen – sie ließen niemals etwas über ihre beruflichen Laufbahnen oder Interessen verlauten –, und nach ihrer Ankunft erwiesen sie sich innerhalb kürzester Zeit als die wohl interessantesten Exzentriker in einer Stadt, in der es von interessanten Exzentrikern geradezu wimmelte.
    Das breite, rechteckige Gebäude mit der Stuckfassade am Ende der Salomonstraße stand seit einigen Jahren leer. Die Flora hatte bereits langsam begonnen, in die verlassene ›Essigfabrik‹ – wie die Einheimischen sie liebevoll nannten – vorzudringen, als Tetsuo und Fuji der Besitzerin des Gebäudes, Ida Webb, ein Kaufangebot machten. Da abgesehen von einer Horde Kindern, die Verstecken spielten, oder vielleicht einigen Teenagern, die einen dunklen, ruhigen Ort für ein wenig Gefummel suchten, bisher noch nie jemand irgendwelches Interesse an dem Haus gezeigt hatte, verkaufte Ida es für einen Spottpreis, und ein Jahr später war das Soame’s geboren.
    Die Kawaminamis verfügten über zwei Leidenschaften, auf die sie sich zu jener Zeit stürzten, die jedoch für den Rest der Stadt erst bei der großen Eröffnung offenbar wurden – bis zu diesem Zeitpunkt stand Geheimhaltung auf der Tagesordnung. Zuerst kam die Überdachung: ein riesiger, schwarzer Vorhang, der im Laufe einer Woche über ein Gerüst gespannt wurde, das Tetsuo und die von ihm eingestellten Arbeiter um die Essigfabrik herum errichtet hatten. Als nächstes fuhren die Lastwagen vor und brachten anfangs Baumaterial, dann Kisten und zum Ende des Jahres hin mysteriöse Pakete in allen Formen und Größen. Auf den ganzen Aufwand hin angesprochen, lächelten Tetsuo und Fuji nur und nickten höflich. Worauf sich viele zu fragen begannen, ob ihr mangelndes Vermögen, Englisch zu sprechen, tatsächlich echt sei, oder lediglich eine wohldurchdachte Fassade. Doch kein Ton über das, was geschah, kam über ihre Lippen – noch über die von jemand anderem. Die Arbeiter kamen alle aus Brendan’s Ferry, achtzehn Kilometer flussabwärts, und blieben unter sich, wenn sie in Silvertown waren. Merediths Freund Harald, seines Zeichens Zenmeister und Journalist, versuchte sogar einmal, sich als Mauertrockenleger einzuschmuggeln, um einen kurzen Blick hinter den Vorhang zu erhaschen. Doch Tetsuo lächelte nur, nickte und schob ihn sanft beiseite, bevor er die Tür vor ihm schloss.
    Schließlich kam der Tag der großen Eröffnung, was die ganze Gemeinde zum Anlass für einen Feiertag nahm – durchaus verständlich, wenn man bedachte, dass Silvertown selbst für die Provinz eine recht kleine Ortschaft ist. Der Bürgermeister schlug eine Reihe von öffentlichen Veranstaltungen vor, um das
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