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Der unsichtbare Mond

Der unsichtbare Mond

Titel: Der unsichtbare Mond
Autoren: James A. Owen
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wieder gesund zu pflegen. Wenn es auch lange Zeit dauern würde, so erwartete Meredith doch, dass Tetsuo sich von seinen Wunden erholen würde, den geistigen wie den körperlichen. Der Bürgermeister hatte bereits bekannt gegeben, dass das Soame’s als Versammlungsort der Gemeinde wiederhergestellt werden sollte, und er würde höchstwahrscheinlich mit der Renovierung der Kuppel und der zerstörten Haupthalle beginnen. Wenn das geschafft war, bezweifelte sie nicht, dass das Gerüst wiederaufgebaut und Tetsuo seine Malerei erneut aufnehmen würde.
    Ein beunruhigendes und unvorhergesehenes Ereignis war das Verschwinden von Shingos Leiche. Eine Blutspur führte zu einem zertrümmerten Fenster im hinteren Teil der Essigfabrik und dann über den Schnee in die Wälder im Norden der Stadt, wo sie schwächer wurde und verschwand.
    Unter Merediths Sitzplatz auf dem Dach des Hauses, in einem der Schlafzimmer, schlief Harold. Er war kaum lange genug bei Bewusstsein geblieben, dass sie seine zahlreichen Wunden verbinden und ihn zu Bett bringen konnte. Und er hatte ein weiteres Mal seinen Namen geändert, zum dritten Mal in dieser Woche. Er würde einige Zeit benötigen, doch sie hatte schon schlimmere Verletzungen geheilt.
    Meredith beschloss ihn mitzunehmen, damit er ihr mehr über Hagen erzählen konnte und dessen verrücktem Streben nach…ja, was? Den Vater der Riesen wieder zu beleben? Alle Riesen zurückzubringen?
    Sie war überzeugt, dass an Shingos und Herolds Worten etwas dran gewesen sein könnte – jedenfalls so viel, dass es sich lohnte, ihnen zuzuhören. Außerdem war Harold ein netter Kerl – loyal, gewitzt, intelligent. Das waren bewundernswerte Eigenschaften und außerdem war er zu sehnig, um in Erwägung zu ziehen, ihn aufzufressen. Schließlich hatte er bereits eine Hand verloren, und wenn eine Frau auf einen solchen Mann stößt, nun, dann kann sie ihn einfach nicht auf einen Happen verspeisen.
    Sie musste sich daran erinnern, dass sie scherzte – jedenfalls was das Aufessen betraf.
    Eine Frage ging ihr jedoch nicht mehr aus dem Sinn: Wenn es Riesen gab, wer sagte dann, dass ihre Rückkehr eine schlechte Sache sei? Schließlich war die Welt groß, und man konnte nicht wissen, auf wessen Seite sie sich stellen würden.
    Selbst wenn Hagen Ymirs Herz finden sollte, den Schatz der Nibelungen, würde er Zeit brauchen – viel Zeit, bevor er irgendetwas wirklich Bedeutendes damit anfangen konnte. Nicht dass es Meredith viel ausmachen würde, schließlich war erst eine Woche vergangen, seit Michael gestorben war und damit angeblich die Veränderungen in Gang gebracht worden waren.
    Und was hatte sich verändert? Meredith besaß ihr Haus, sie hatte ihren Mörser und ihren Stößel, und sie hatte ihre Kamera. Zugegeben, sie mochte ein wenig grauer sein, als noch vor einigen Tagen, doch es war eine ziemlich schwierige Woche gewesen.
    Die Sonne ging auf. Zeit aufzubrechen.
    Eine Geste ihrer Hand genügte, und ihr Haus riss sein Fundament aus dem Boden, erhob sich und streckte seine langen, ledrigen, rostfarbenen Beine zur vollen Höhe aus. Vorsichtig prüfte es sein Gleichgewicht und trat einen Augenblick lang von einem Bein aufs andere, bevor es inne hielt, und auf Anweisungen wartete.
    Wohin sollte sie gehen? Was sollte sie tun?
    Wahrscheinlich spielte das gar keine Rolle. Schließlich befand sie sich in Amerika, dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten, wo jeder sein kann, was er will – sogar eine tausend Jahre alte russische Hexe. Geld würde nie wieder ein Problem darstellen, jetzt galten neue Regeln. Und mit sechs Milliarden Menschen auf der Erde würde es schließlich auch genug zu essen geben.
    Wenn nichts dazwischenkam, war es ein guter Plan – solange sie nichts Wichtigeres zu tun hatte. Meredith hatte in den letzten sieben Tagen viel über sich selbst herausgefunden, über ihre Familie und ihre Geschichte. Doch es gab eine Angelegenheit, die sie für sich abschließen musste, ganz gleich wie unsinnig sie zu sein schien; eine Sache, die sie finden musste. Und Shingo zufolge war Spanien der Ort, an dem sie mit ihrer Suche beginnen sollte.
    Wenn sie in aller Ruhe darüber nachdachte: War es in einer Welt, in der so vieles innerhalb kürzester Zeit geschehen konnte, wirklich so abwegig zu glauben, dass sie Wasilys Kopf finden würde?
    Meredith lutschte zufrieden an einem Fingerknochen und fasste einen Entschluss. Sie versetzte dem Dachfirst einen Klaps und wies nach Osten.
    Das Haus der Baba Jaga ging an
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