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Der unsichtbare Mond

Der unsichtbare Mond

Titel: Der unsichtbare Mond
Autoren: James A. Owen
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dabei die ganze Zeit staunten, dass er noch am Leben war. Dann wurde er behutsam auf eine Trage gelegt und auf dem schnellsten Wege ins Krankenhaus gebracht. Nach kurzer Zeit war er vollkommen wiederhergestellt und nahm in der Gemeinde seinen Platz als gefeierter Held ein.
    Dieser Mann war Merediths Vater, Wasily Strugatski.
    Kaum mehr als ein Jahr später bekamen die Kawaminamis einen Sohn und sie schlugen aus Dankbarkeit vor, ihm den Namen ihres Retters zu geben. Strugatski war jedoch der Meinung, es sei furchtbar, einem Kind den Namen Wasily aufzuhalsen – insbesondere wenn es nicht wie ein Einheimischer aussah –, und er schlug eine Alternative vor. Als Wasily ursprünglich nach Amerika gekommen war, hatte er immer noch eine Menge Unsinn im Kopf gehabt. Während er durch eine Vorstadt von Phoenix fuhr, beschloss er, über den Zaun eines Bürokomplexes zu klettern und in den Büros nach etwas zu suchen, das er versetzen konnte. Der Sicherheitsbeamte erwischte ihn, doch statt ihn der Polizei zu übergeben, bot er dem großen jungen Mann eine Stelle als Hilfswachtposten an (Wasily war immerhin hineingelangt, also schienen die Sicherheitsmaßnahmen nicht ausreichend zu sein). Außerdem nahm er ihn zum Mittagessen mit nach Hause, kaufte ihm Kleidung und lieh ihm ein wenig Geld.
    Wasily blieb nicht lange in Arizona. Er wurde auch nicht zum Musterknaben, doch dieser Vorfall änderte seine Einstellung zu den Menschen und der Zivilisation grundlegend. Er vergaß diese Lektion nie.
    Und so schlug er vor, dass Tetsuo und Fuji ihr Kind nach seinem Wohltäter in der Wüste benennen sollten, gleichermaßen als eine Gefälligkeit und ein Zeichen der Hochachtung. Sie fanden die Idee äußerst passend und ehrenhaft, und so erhielt das Kind den Namen Shingo Earl Kawaminami.
     

     
    Als Meredith die breiten Milchglas-Doppeltüren am Eingang zum Soame’s aufschwang, sah sie Harald an ihrem Stammtisch unter den Tintorettos sitzen. So weit Meredith wusste, war sie die einzige seiner Bekannten, die ihn tatsächlich nur Harald nannte. Abgesehen von ihrem Herausgeber bei der Ontario Daily Sun, Mr. Janes, der zwischen Van Hassel und VanHasselSieIdiot wechselte, nannte ihn jedermann den Wirren Harold. Es schien ihm nichts auszumachen. Meredith hatte manchmal sogar den Verdacht, dass er sich den Spitznamen selbst zugelegt hatte, nur so zum Spaß.
    Allerdings traf der Name durchaus zu; schließlich reichten die Aspekte seiner Arbeit von der Entführung von Rindern durch Außerirdische bis zu einer Geschichte über den Yeti in Cleveland. Das war seiner Meinung nach der einzige Ort, an dem man noch nach dem Yeti suchen konnte, da sein für den Pulitzer-Preis nominierter Bericht aus dem Jahr zuvor den Himalaja-Yeti als einen großen Polarbären entlarvt hatte – sehr zur Bestürzung der Nepalesen. Ganz zu schweigen davon, dass er die Schreibung seines Namens alle paar Wochen einmal änderte. Als Meredith ihm zum ersten Mal begegnet war, hieß er einfach nur Harold. Das lag allerdings daran, dass sie ihn in der Mitte eines Zyklus’ kennen lernte. Oft hieß er Harald, wie in der vorangegangenen Woche (und wahrscheinlich immer noch), manchmal Jerald, mit lateinischer Betonung. Und manchmal nannte er sich sogar einfach nur H – ein Buchstabe, sonst nichts – wie einer der alten Männer in den James-Bond-Filmen.
    Die einzige Beschreibung, von der er selbst behauptete, dass sie entfernt auf ihn zutreffe, war jener Titel, den er auch auf die Visitenkarten drucken ließ, die er der Daily Sun abgeschwatzt hatte: Zen-Journalist. Er behauptete, dass er nur durch die Anwendung der Zen-Praktik – dem Versuch, die Welt so zu sehen, wie sie war, was nur mit einem von vernünftigen Gedanken und Gefühlen befreiten Geist und einem Bewusstseinszustand erreicht werden konnte, in dem Gedanken sich bewegten, ohne eine Spur zu hinterlassen – dass er also nur dadurch Ereignisse und Gegenstände von wirklichem Wert miteinander in Verbindung bringen, betrachten und darüber berichten könne. Seine Schlüsse erwiesen sich so oft als falsch, dass Mr. Janes automatisch eine seiner Herztabletten schluckte, wann immer Harald sein Büro betrat. Dennoch lag er oft genug richtig, und Mr. Janes hatte heimlich seine Privatnummer in der Schnellwahl gespeichert. Weder das Eine noch das Andere brachte ihm mehr als die Verachtung seiner Kollegen ein, die durchaus auch von Neid gespeist sein mochte. Was davon zutraf, wusste Harald nicht – aber schließlich wussten es
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