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Der unsichtbare Kreis

Der unsichtbare Kreis

Titel: Der unsichtbare Kreis
Autoren: Bernd Ulbrich
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Lächerlich das Liebesgeständnis eines Greises.
»Sophia«, schrie er, »du begibst dich in Gefahr!«
Unaufhaltsam bewegte sich die Platte mit Sophia von ihm weg.
»Bist du nicht unter Gefahren alt geworden?« flüsterte es von unten. »Ist dir ein Mensch die Gefahr nicht wert?«
Zu lange hatte er gezögert. Jetzt wagte er den Sprung nicht mehr.
Sophia schmolz zum schwarzen Zentrum der Scheibe zusammen, ein Punkt, zerfließend in tiefer Dämmerung.
Mit steifen Gelenken hockte sich Randaik in den Kreis der Greise. Nach so vielen Jahren der Gemeinsamkeit waren sie es müde zu schwatzen. Sie drängten sich zusammen, zitternd vor Kälte, bis ein bleierner Schlaf sie übermannte.
Ein unruhiges Gefühl ließ ihn erwachen. Es kam ihm vor, als müsse er etwas suchen, einen verlorenen Gegenstand.
Volmar beugte sich über ihn. Der Freund reckte die Arme vor die Fülle seines Leibes, um ihm aufzuhelfen. Taumelnd erhoben sich auch die anderen. Randaiks Uhr zeigte die dritte Morgenstunde. Er fühlte sich elend, die Glieder schmerzten bei jeder Bewegung.
Der Alptraum war von ihnen gewichen. Glücklich, als hätten endlose Jahre eines schweren Schicksals nun ein Ende, musterten sie sich.
Sie waren wieder jung. Doch sie blickten sich an und wußten, ohne ein Wort zu sagen, daß sie alle den gleichen Traum gehabt hatten.
Wo war Sophia?
»Erinnere dich«, sagte Volmar, »sie ging, den Alten zu suchen.« Seine Hände bewegten sich unsicher, als er hinzufügte: »Wir hätten sie nicht allein lassen dürfen.«
»Es war ein unnatürlicher Zustand«, murmelte Randaik. Doch das war keine Entschuldigung.
Schweigend neigten sie den Kopf, um nicht zu verraten, daß sie Scham empfanden.
»Wir müssen Sophia suchen«, sagte Randaik. Er eilte zum Schacht, sein Aufbruch zerriß den Schleier der Erstarrung.
Erregt blickte er auf die leere, lautlos hochschwebende Plattform. Mit einem schmerzlichen Gefühl erinnerte er sich seines Greisendaseins. Doch er entsann sich keiner Einzelheit seines Lebens mit Sophia. Aber es hatte existiert. Auch wenn alles nur ein Traum war, er würde sie wiederfinden. Er hoffte, daß es nur ein Traum war, dessen phantastische Zusammenfügung Produkt einer irrealen Welt war, die man korrigieren kann. Die Überlegung ließ ihn befreit aufatmen.
Während die Scheibe mit ihnen nach unten sank, berichtete Randaik von seinen und Sophias Erlebnissen. Es fiel ihm selbst nicht auf, daß er während der Erzählung Sophias Standpunkt vertrat.
»Ich glaube, das ist ein Verrückter«, sagte Lewis ohne Groll, »ein verwirrter Mensch. Bedauernswert.«
»Du bist Kriminalist«, bemerkte Gonzales. »Meinst du nicht, es könnte sich um ein Verbrechen handeln?«
»In den fünfzehn Jahren am Harmonischen Institut ist mir solch ein Fall nicht vorgekommen. Ich bleibe dabei: Es ist ein armer Irrer.«
»Wäre nur zu klären, wie ein Idiot sich Zugang zum Zentralkyberneten verschaffen kann«, erwiderte Volmar.
»Ihr macht es euch einfach«, sagte Randaik gereizt.
»Was meinst du?« fragte Gonzales.
»Wir sind zum Spielball einer unheimlichen Macht geworden.«
Mit einer schroffen Handbewegung unterbrach ihn Gonzales.
»Hören wir Troels«, sagte Volmar. »Vielleicht ergibt seine Meinung als Physiker einen neuen Aspekt.«
Troels war schweigsam und mußte meist zum Reden aufgefordert werden. Doch um so präziser äußerte er jetzt seine Gedanken.
»Es scheint, als wären wir zum Spielball einer wild gewordenen Technik umfunktioniert.« Damit schloß er seine Ausführungen.
»Das ist zu simpel«, warf Gonzales ein.
»Dieses Spektakel verfolgt einen Zweck«, fuhr Troels unbeirrt fort. »Es soll uns auf etwas aufmerksam machen. Worauf? Es waren eindrucksvolle Bilder, nicht wahr. Lassen sie sich nicht zu einem Mosaik zusammenfügen? Es war, als hätten wir unser Leben schon gelebt. Wir dachten und empfanden wie Greise, enttäuscht, desillusioniert, müde. Vorher wußten wir nicht, wie furchtbar solch ein langes, leeres Leben ist.«
»Der Alte«, fiel Randaik ihm ins Wort.
»Richtig. Haben wir vielleicht sein Leben gelebt, seine Gefühle empfunden?«
»Sophia wußte es von Anfang an«, sagte Randaik. »Er wollte sie von uns trennen.«
»Ihr verrennt euch in etwas Konstruiertes«, sagte Lewis.
»Reine Massensuggestion.« Gonzales winkte ab.
Randaik blickte ihn ruhig an. »Eine, die Spuren hinterläßt?« Er entblößte seine Schulter. Dicht unterhalb des rechten Schlüsselbeines war die sanfte Wölbung einer runden Narbe zu sehen. Es war kein Traum
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