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Der ungeladene Gast

Der ungeladene Gast

Titel: Der ungeladene Gast
Autoren: S Jones
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flüsterte sie.
    »Nein. An seiner Stelle saß da sein Cousin – das heißt: ein Mann, der behauptete, sein Cousin zu sein.«
    »Behauptete? Zweifelst du daran?«
    »Eigentlich hatte ich keinen Grund, daran zu zweifeln, aber es war seltsam. Ich weiß selbst nicht, wieso ich es erwähnt habe. Er war ein eigenartiger Bursche – sehr blass, sichtlich nicht wohlauf, würde ich sagen. Jedenfalls sagte er, dass er Hargraves manchmal vertritt, wenn niemand da ist, und sie hatten natürlich nicht damit gerechnet, dass ich an einem Samstag vorbeikommen würde. Aber der Herr, sagte er, den ich erwarte, sei bereits in meinem Büro.« Er sah sich unter ihnen um, wie um sich zu vergewissern, dass sie zuhörten. »Ich erwartete aber niemanden. Der Name des Mannes lautete …« Er unterbrach sich. »Er lautete … Modkin oder Malcolm oder – Himmel, es ist sonst gar nicht meine Art, einen Namen zu vergessen. Vielleicht auch Martin. Jedenfalls, wie immer er hieß, er war ein alter Mann, sehr gebrechlich, ziemlich vornehm. Und er behauptete, etwas Geschäftliches mit mir zu besprechen zu haben. Vor allem aber sagte er, ich wisse schon seit vierzehn Tagen darüber Bescheid. Lässt mein Verstand allmählich nach, Charlotte?«
    »Nein, Edward.«
    »Emerald?«
    »Nein, natürlich nicht. Sprich bitte weiter.«
    »Er sagte, ich sei über die Sache informiert. Er selbst sei wegen einer anderen Angelegenheit in Manchester, habe aber gedacht, es sei höflicher und angemessener, persönlich mit mir zu sprechen. Angesichts der hohen Hinterlassenschaft, um die es gehe.«
    »Welche hohe Hinterlassenschaft?«
    »Eine Hinterlassenschaft für Horace – entschuldige, Charlotte, dass ich seinen Namen erwähne, wo ich doch weiß, wie sehr es dich schmerzt, ihn zu hören –, für Horace Torringtons Kind. Die Hinterlassenschaft einer wohlhabenden entfernten Verwandten namens …« Wieder hielt er verwundert inne. »Vielleicht bin ich müde«, sagte er. »Es ist wirklich nicht meine Art, Namen zu vergessen.«
    »Setz dich, sprich weiter«, sagte Charlotte, die so weiß geworden war wie die Kissen, auf die die Passagiere ihre armen, verrottenden Gesichter gebettet hatten.
    Er setzte sich und zog dabei einen dünnen Packen Papiere, der mit einem schwarzen Band umwickelt war, aus seiner Brusttasche. Er löste das Band, indem er das lose Ende mit den Zähnen aufzog, wie es seine Gewohnheit war, schlug die Papiere auf und las: »Eine Großtante namens Mabel Eglantine Breeches – so hieß sie! – Mabel Eglantine Breeches, ein sehr merkwürdiger Name, kein Wunder, dass sie nie heiratete, wenn sie so merkwürdig war wie der Name. Aber wie gesagt hinterließ sie dem jüngsten Kind von Horace Torrington die Summe von – Emerald, kümmere dich bitte um deine Mutter.« Emerald setzte sich neben ihre Mutter und nahm ihre Hand. »Die Summe von sechzigtausend Pfund.«
    »Dem Kind?«, flüsterte Charlotte. »Sicher doch den Kindern?«
    »Nein, es heißt ganz klar ›Kind‹, und Smudge wird namentlich genannt. Siehst du: ›Imogen Artemis Torrington. Um ihr und ihrer Mutter, die das Geld nach Belieben verwenden darf, ein würdevolles Leben zu ermöglichen.‹ Seltsame Wortwahl für eine alte Frau. Ein würdevolles Leben. Siehst du? Ich verstehe das alles nicht.«
    Er hielt ihr das Papier hin. Charlotte machte keine Anstalten, danach zu greifen, also nahm Emerald es für sie entgegen.
    »Das ist alles sehr – ich verstehe diese Formulierungen nicht sehr gut, Edward«, sagte Charlotte.
    »Vertrau mir. Das hier ist nicht das eigentliche Testament, verstehst du? Es ist ein Dokument, das dieser Herr aufsetzte, dieser Mr – wie hieß er noch mal? McCloud? Er hat das Testament, unterschrieben und mit Siegel versehen, in seiner Kanzlei in London vorliegen. Jedenfalls war dieser Modkin nicht ihr Anwalt, sondern wurde einfach nur von ihr beauftragt, mir die Papiere auszuhändigen. Alles ganz legal und korrekt, wenn auch ein wenig unkonventionell.« Stille trat ein. »Miss Breeches verstarb vor ein paar Monaten.« Immer noch sagte niemand ein Wort. »Sie hatte keine anderen Verwandten.«
    »Horace hatte niemanden«, sagte Charlotte mit schwacher Stimme. »Seine Verwandten waren alle tot – arm und tot.«
    »Das hast du immer gesagt. Aber du hast dich geirrt.«
    »Wie hieß sie noch mal?«
    Er sah noch einmal in dem Dokument nach. »Mabel Eglantine Breeches.«
    »Und sie ist tot?«
    Geduldig antwortete er: »Ja, Charlotte, sie ist tot.«
    »Ich verstehe. Sechzigtausend
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