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Der ungeladene Gast

Der ungeladene Gast

Titel: Der ungeladene Gast
Autoren: S Jones
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nicht ganz der richtige Ausdruck«, antwortete sie lächelnd.
    Clovis, der auf dem Sofa Platz genommen hatte, Nell und Lucy zu seinen Füßen, merkte plötzlich, dass er seinem Stiefvater gern zeigen wollte, wie viel erwachsener er geworden war, wusste aber nicht, wie er es anstellen sollte.
    »Wir hatten unglaubliche Mühe, Ferryman vor das Fuhrwerk zu spannen«, sagte er als Einstieg in eine neue Höflichkeit, und Edward kam ihm gern entgegen.
    »Das hat Robert auch gesagt. Aber auf dem Weg vom Bahnhof hierher hat er sich ganz manierlich verhalten.«
    Sie lächelten einander an, und mit diesem kurzen Austausch war ein Großteil der unguten Gefühle der Vergangenheit beigelegt.
    Charlotte saß ganz still da, die Hände im Schoß gefaltet, und sah ihren Mann erwartungsvoll an.
    Die Unterhaltung geriet ins Stocken und verstummte vollends. Der große Moment war gekommen. Nun war es an Edward, ihnen darzulegen, was aus Sterne werden würde.
    »Sterne«, sagte Charlotte.
    »Bitte«, flüsterte Emerald und ballte die Hände zu Fäusten. »Sag uns, was du erreicht hast.«
    »Ich muss sagen, es war alles sehr merkwürdig«, sagte Edward. Einen Moment wirkte er unsicher, fuhr dann aber fort: »Wie ihr alle wisst, bin ich nach Manchester gefahren, um mit Mr Jarvis zu sprechen und ihn um ein Darlehen zu bitten. Er war genauso, wie ich ihn mir vorgestellt hatte, ein mehr als unangenehmer Mann, der meine Bitte um ein Darlehen auf eine mehr als unangenehme Weise abschlug.«
    »Er hat abgelehnt?«
    »Ja, das hat er.« Ein kurzes Schweigen. Alle dachten darüber nach, was das bedeutete. »Ihr wisst ja, was ich von Mr Jarvis halte und wie schwer es mir fiel, ihn um dieses Darlehen zu bitten. Daher war ich zwar enttäuscht, gleichzeitig aber auch erleichtert. Wie auch immer, dieses Vorhaben ist gescheitert. Und das wäre also das.«
    »Oh!«, machten Emerald und Charlotte gleichzeitig, während Clovis nur den Kopf hängen ließ und blicklos den runden Kopf von Nell anstarrte.
    Das war also das. Edward hatte kein Geld mitgebracht. Er war gescheitert.
    Wie schnell sich Neuigkeiten mitteilen ließen. Wie schnell und entschieden die Hand des Schicksals zuschlagen konnte.
    »Aber das ist nicht alles«, fuhr er hastig fort. »Es kommt noch viel mehr. Ich …« Er brach ab und wandte ihnen den Rücken zu, schien die Fotografie von Charlotte und Horace zu betrachten, die auf dem Kaminsims stand, während die Familie hinter ihm wartete und kaum zu atmen wagte. »Folgendes ist passiert«, sprach er mit ruhiger Stimme weiter, immer noch ohne sich umzudrehen. »Und wenn es mir nicht selbst passiert wäre, und wenn ich die Papiere nicht selbst gesehen und sie selbst auf ihre Echtheit hin überprüft hätte, würde ich es nicht glauben …«
    »Was glauben?« Charlotte war jetzt eher verängstigt als neugierig. Alle drei Torringtons überlief ein Schauder, vergleichbar mit einem kalten Windstoß, der über ein Weizenfeld streicht. Es schien, als hätten die seltsamen Ereignisse der Nacht ihre Hände ausgestreckt und seien zurückgekommen, um sie in diesem heiteren, sonnigen Zimmer heimzusuchen.
    Konnte es sein, dass Edward Swift, die Rationalität in Person, ebenfalls eine Begegnung mit dem Unwirklichen gehabt hatte und es ebenso wenig fassen konnte wie sie?
    Er drehte sich wieder zu ihnen um, aber er wandte sich einzig und allein an Charlotte, als er sagte:
    »Jemand aus deiner Vergangenheit hat deine Angelegenheiten in die Hand genommen.«
    Seine Worte besaßen eine bleierne Schwere. Clovis setzte sich abrupt auf und sah mit schief gelegtem Kopf zum leeren Kamin hinüber. Emerald spürte einen Kloß im Hals, ihre Kopfhaut kribbelte. Das Gespenst der Schande erhob sich aufs Neue.
    »Oh«, machte Charlotte.
    Blindlings streckte sie eine Hand hinter sich und spürte, wie sie voller Wärme von Florence Trieves’ starken Fingern ergriffen wurde. Die beiden hielten sich aneinander fest, während Edward fortfuhr.
    »Etwas überaus Ungewöhnliches und Wundervolles ist geschehen.«
    »Etwas Wundervolles?«, flüsterte Charlotte.
    »Als ich gestern aus Mr Jarvis’ Büro kam, war es noch sehr früh, also beschloss ich, auf dem Weg zum Mittagessen in meinem Club noch kurz in der Kanzlei vorbeizugehen. Ich hatte keine Termine und erwartete nicht, jemanden anzutreffen – außer dem Portier, versteht ihr?«
    »Sprich weiter.«
    »Nun – als ich dort ankam, als ich dort eintraf, war der Portier – du kennst ihn, Hargraves – nicht da.«
    »Nicht da?«,
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