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Der Überraschungsmann

Titel: Der Überraschungsmann
Autoren: Hera Lind
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plötzlich auf und lief wie ein eingesperrter Königstiger in einem viel zu kleinen Käfig auf und ab. »Wiebke und ich sind in Flensburg auf dieselbe Schule gegangen. Bei einem Klassentreffen erzählte ich ihr von meinem Pech, und sie meinte, ihr Mann würde mir bestimmt ein Gesundheitsattest ausstellen; sie hätte nämlich gerade was bei ihm gut. Und dann erzählte sie mir was von einer Kindergärtnerin, die zu ihnen ins Apothekerhaus gezogen und von ihm schwanger war oder so was. Ich hielt das Ganze für eine Familienangelegenheit, und mein Traum schien mir plötzlich zum Greifen nahe …«
    Auf einmal dämmerte es mir. Sprechen konnte ich nicht, so trocken war mein Mund.
    Justus zauberte wie aus dem Nichts weiteren Champagner herbei und flößte ihn mir ein wie Medizin. Allein das Prickeln auf meiner Zunge sagte mir, dass ich nicht träumte.
    »Fünfzehn Jahre später treffe ich die Wiebke wieder bei einem Klassentreffen in Flensburg. Inzwischen bin ich glücklich Kapitän und zeige ihr Bilder vom schönen Schiff, als sie sagt, dass sie inzwischen geschieden ist. Ihr Volker sei wieder verheiratet, aber es gebe da ein Mädel, das er umständehalber gern in seiner Nähe hätte. Wie ich denn meinen nächsten Landurlaub verbringe?«
    »Landurlaub.« Mehr konnte ich beim besten Willen nicht sagen.
    »Ob ich Lust hätte, einem netten Mädel beim Einrichten eines Fertighauses zu helfen.«
    Meiner Kehle entrang sich ein Krächzen.
    »Ich bin nämlich ein begeisterter Hobbyhandwerker, und da ich noch nie ein Häuschen eingerichtet hatte und sowieso nicht wusste, was ich mit drei Monaten Landurlaub anfangen soll, habe ich das Spiel eben mitgespielt.«
    »Spiel. Gespielt. Du also auch«, stammelte ich.
    »Dein Mann hatte das Grundstück schon lange gekauft. Er wollte irgendwann ein Haus für seine Söhne darauf bauen. Als Lisa von ihm schwanger war, hat er umdisponiert. Er hat Lisa dort hineingesetzt, und damit du keinen Verdacht schöpfst, musste ein Ehemann her. Einer, der praktischerweise häufig unterwegs ist. Ein Kapitän. Da hat er sich an mich erinnert. Er hatte schließlich noch was gut bei mir.«
    »Ich fasse es nicht!« Ich raufte mir die Haare. Aber nach allem, was ich jetzt über Volker wusste, passte auch das.
    »Aber Lisa?! Wie konnte sie so kaltblütig mitspielen? Und das über einen so langen Zeitraum? Wir waren Freundinnen! Wir haben uns GEMOCHT !«
    »Zuerst hat Lisa mitgespielt, weil er ihr glaubhaft weisgemacht hat, du hättest eine ernste Erkrankung und somit nicht mehr lange zu leben.«
    »Bitte? Er hat WAS ?«
    »Einmal kamst du doch humpelnd und blutend nach Hause, und da hat er ihr gesagt, deine Krankheit sei wieder ausgebrochen. Das hat Lisa mir erzählt.«
    »Meine KRANKHEIT sei wieder ausgebrochen?« Ich lachte bitter auf. »Ich hatte eine SCHERBE im Fuß!«
    »Lisa hat schreckliche Gewissensbisse gehabt«, sagte Sven nachdenklich. »Sie hatte dich so ins Herz geschlossen und wollte dir immer wieder die Wahrheit sagen, aber Volker meinte, das könne man dir in deinem Zustand nicht zumuten.«
    »Ja«, erinnerte ich mich plötzlich. »Sie hatte Weinkrämpfe und Panikattacken … Und – oh, Gott, sie wollte das Kind zwischendurch sogar wegmachen.«
    »Ja. Weil sie sich so mies gefühlt hat, dir gegenüber.«
    Siedend heiß fiel mir alles wieder ein. Wie oft hatte sie genau das gesagt: »Ich fühle mich mies, ich habe dich nicht verdient, du bist zu gut für mich, ich bin so schlecht!« Und ich hatte das immer für pränatale Depressionen gehalten!
    »Volker konnte sie nach allen Regeln der Kunst wieder vom Gegenteil überzeugen.«
    »Er hat sie immer wieder manipuliert«, sagte ich betroffen.
    »Der Mann scheint mir größenwahnsinnig und äußerst narzisstisch veranlagt zu sein«, erklärte Justus, der immer noch hinter mir stand und mich festhielt. »Wahrscheinlich hatte er eine furchtbare Kindheit. Solche Menschen sind krankhaft süchtig nach Liebe und Zuwendung. Sie bauen perfekte Lügengebäude auf, um sich diese Liebe und Aufmerksamkeit von allen Seiten zu holen. Da war doch vor Kurzem so ein prominenter Wetteransager in den Schlagzeilen …«
    »Ja«, sagte ich leise. »Er hat mir immer erzählt, in Gegenwart seines Vaters sei es immer wie beim Militär gewesen. Und seine Mutter war selbst total geltungssüchtig.«
    Oh, Gott. Das durfte doch nicht wahr sein.
    Ich war seit Jahren mit einem Exemplar verheiratet, das nicht nur mehrgleisig fuhr, sondern mir auch eine perfekte Schmierenkomödie
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