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Der Überraschungsmann

Titel: Der Überraschungsmann
Autoren: Hera Lind
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Vollmond stand über dem gegenüberliegenden Kapuzinerberg.
    »Hier oben werden gern Heiratsanträge gemacht …«, schwärmte die nette Frau Teufel augenzwinkernd. »Es ist das kleinste Restaurant der Welt. Nur EIN Tisch.«
    »Oh, dann gehe ich da, glaube ich, nicht so gern rein …« Justus würde doch nicht?
    Justus schob mich sanft vor sich her. »Wir sind rein geschäftlich hier, Barbara.«
    Die Tür wurde aufgeschoben. In dem winzigen Rapunzel- Erkerzimmer saß am weiß gedeckten Tisch ein sehr großer blonder Mann und schaute aus dem Fenster. Er trug einen weißen Leinenanzug. Als er uns kommen hörte, sprang er auf und wandte uns sein braun gebranntes Gesicht zu. Mein Herz setzte einen Schlag aus. Das war doch nicht … Das konnte doch nicht … »Sven!«
    »Barbara …?«
    »Ihr kennt euch?« Justus war aufrichtig überrascht.
    »Ja! Wir waren mal Nachbarn!« Verdattert schüttelte ich Sven die Hand, der genauso fassungslos war wie ich.
    »Was machst du denn hier?« Sven schoss die Röte ins Gesicht. Ich sah seine Halsschlagader pochen.
    »Dasselbe frage ich DICH !« Erschrocken sah ich mich nach Justus um. War DAS unser Klient?
    Ausgerechnet Sven! Wie hatte ich den armen Mann angeschrien, beschimpft und rausgeschmissen! Ich schämte mich schrecklich. Natürlich hatte ich gehofft, ihm nie wieder begegnen zu müssen.
    Sven hörte gar nicht mehr auf, mir die Hand zu schütteln. »Du hast mich ja so was von zusammengefaltet damals …«
    »Oh, Gott, es tut mir so leid! Sven, ich wusste doch nicht …«
    »Aber jetzt weißt du es?«
    »Ja, ich weiß es. Und nicht nur das.«
    »Was weißt du denn NOCH ?«
    Sven sank auf einen Stuhl – er konnte sich offensichtlich nicht mehr auf den Beinen halten vor Schreck.
    Justus schob mir ebenfalls schnell einen samtbezogenen Heiratsantragstuhl unter.
    »Na ja, mein Mann war doch vielseitiger, als ich dachte …«
    »Vielseitiger?«, fragte Sven gedehnt.
    »Nun, er hatte mehrere Frauen. Und mehrere Kinder. Nicht nur … Lisa und mich.«
    »Ist es DAS , was du weißt?« Sven starrte plötzlich auf seine Schuhspitzen.
    »Ja. Gibt es sonst noch was, das ich wissen sollte?« Mein Mund schmeckte nach Pappe.
    Frau Teufel setzte uns geistesgegenwärtig Champagner vor. »Auf einen erfolgreichen Abend und den netten Zufall, dass Sie sich offensichtlich von früher kennen.«
    Justus verzog sich diskret. So wie in seinen Seminaren, wenn sich Klienten plötzlich eher mir anvertrauten als ihm.
    »Also, Barbara, du glaubst ja nicht, wie sehr ich mir den Moment herbeigesehnt habe, wo ich es dir endlich sagen kann …«
    Moment. Das waren doch genau Lisas Worte! Auch sie wollte mir unbedingt etwas sagen.
    Sven fuhr sich fast verzweifelt über die Stirn, und seine dunkelblauen Augen wurden fast schwarz. »Barbara. Liebe Barbara. Es war kein Zufall, dass Lisa und ich eure Nachbarn wurden.«
    »Kein. Zufall.«
    »Nein.«
    Sven kaute auf seiner Unterlippe, und der Champagner in seinem Glas schickte tausend kleine Bläschen an die Oberfläche.
    Mein Mund war so trocken, dass ich mechanisch trank, ohne es zu merken.
    »Das Grundstück gehörte auch nicht meinem Vater.« Sven hüstelte nervös. »Wie denn auch, wenn ich aus Flensburg stamme.«
    Ja. Das leuchtete mir ein. Flensburg. Wiebke stammte auch aus Flensburg. Da … Da bestand doch nicht etwa ein Zusammenhang?
    Ich setzte das Champagnerglas an den Mund und leerte es auf einen Zug. Ein weiteres Geständnis konnte ich jetzt ohne viel Alkohol nicht ertragen.
    »Hier!«, sagte Sven und hielt mir seines auch noch hin. »Ich schätze, das brauchst du jetzt dringender als ich.«
    Justus trat leise hinter mich und legte mir die Hände auf die Schultern. Das tat er auch oft bei seinen Klienten, wenn sie weinten oder gerade vollkommen aufgelöst waren.
    Oh, Gott. Was kam denn jetzt NOCH ?
    »Ich war auch nie mit Lisa verheiratet«, sagte Sven in die lähmende Stille hinein.
    Außer meinem eigenen Herzschlag hörte ich nichts mehr.
    Justus verstärkte den Druck seiner Hände.
    »Aber ich schuldete Volker einen Gefallen. Einen sehr großen Gefallen.« Er senkte den Kopf, raufte sich die Haare. »Ich hätte nie Kapitän werden können, wenn er mir nicht vor vielen Jahren ein perfektes Gesundheitszeugnis ausgestellt hätte.«
    »Was?« Ich verstand nicht. »Ihr kanntet euch schon früher?«
    »Kapitän war mein absoluter Traumberuf, aber irgendwann habe ich so einen blöden Sehtest ganz knapp nicht bestanden, und aus die Maus …« Sven sprang
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