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Der Turm der Seelen

Der Turm der Seelen

Titel: Der Turm der Seelen
Autoren: Phil Rickman
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genauso wenig. Nicht zum ersten Mal fragte sich Lol, was passiert wäre, wenn Al und Sally sie nicht auf dem Hopfenfeld gefunden hätten. Doch dann beschloss er, nie mehr im Leben daran zu denken.
    Und auch nicht an Gerard Stock, wie er in seiner Zelle hing.
    «Warum musste er sich umbringen?», hatte Merrily gesagt. «Es gibt viel zu viel, was wir niemals erfahren werden.
Jeder
hat gesagt, ein Selbstmord würde überhaupt nicht zu ihm passen.»
    «Die Umstände können einen Menschen vollkommen verändern», sagte Lol. «Vielleicht hat er irgendein Erlebnis gehabt.» Lol zögerte. «Nehmen wir mal an, er hätte in dem Untersuchungsgefängnis einen   … Besucher gehabt.»
    Merrily hatte gesagt: «Huw Owen benutzt den Begriff ‹Besucher›, um die Geistererscheinung eines Verwandten oder nahen Freundes zu bezeichnen – normalerweise wird das eher als Trost empfunden.»
    «Ich würde es mehr als Einbrecher bezeichnen. Aber vielleichtist das völlig unlogisch. Wo hätte die Erscheinung in diesem Untersuchungsgefängnis weibliche Energien finden können?»
    «Wenn es eines gibt, was ich im vergangenen Jahr gelernt habe», sagte Merrily, «dann ist es, dass menschliche Logik bei solchen Sachen nicht zählt. Aber   … es könnte auch sein, dass Stocks Tod überhaupt nichts mit Paranormalität zu tun hat. Ich meine, wenn
ich
davon ausgehe, dass das Unsichtbare alles durchdringt, heißt das noch lange nicht, dass es nicht auch Abläufe gibt, die damit nichts zu tun haben.»
     
    Als Lol die Treppe hinauf und die Galerie entlang zu seinem Heuboden ging, grollte im Westen der erste Donner. Er legte seine Nickelbrille auf die Zwiebelkiste aus Sperrholz, die er zum Nachttisch umfunktioniert hatte.
    Durch das Dachfenster über seinem Kopf sah er ein beinahe lilafarbenes Licht über den Himmel zucken. Das Fenster stand einen Spalt offen, und der Heuboden war von schwerem karamelligen Heugeruch erfüllt.
    Lol fühlte sich unerklärlich unruhig.
    Nun ja, vielleicht war es nicht
so
unerklärlich.
    Er ließ sich auf das Feldbett fallen. Aber es war nicht da. Er landete auf Heu. Er sah zu dem verschwommenen Viereck des Dachfensters hinauf. War er schon so übermüdet, dass er auf den falschen Heuboden gestiegen war?
    Er griff nach seiner Brille auf der Zwiebelkiste.
    Da schloss sich eine Hand um seinen Arm.
     
    Nach so wenig Schlaf in den letzten zwei Tagen waren sie beide zu Tode erschöpft, aber das hatte es zugleich intensiver und diffuser werden lassen. Vielleicht lag es auch an der Müdigkeit, dass sich ein Déjà-vu-Gefühl einstellte, wenn vielleicht auch nur in Träumen, und Lol hatte sich sogar gefürchtet einzuschlafen, weiler nicht aufwachen und feststellen wollte, dass auch dies nur ein Traum gewesen war.
    Es war das Gewitter, das ihn weckte. Helle Blitze zuckten hinter dem Dachfenster, und er sprang auf, um es zuzumachen, bevor der Regen einsetzte. Er stellte sich dazu auf das Feldbett, das sie weggezogen hatte, bevor sie Heu und Stroh auf dem Boden verteilt und die Bettdecke darüber ausgebreitet hatte.
    Sie sagte, sie habe von Stock geträumt. Wie sein Leichnam langsam an dem Seil pendelte.
    «Da siehst du, was du davon hast, wenn du mit mir schläfst», sagte Merrily.
    Sie liebten sich noch einmal, während der Donner grollte, und dann lag sie auf dem Rücken, und der Regen begann in schweren, einzelnen Tropfen auf das Dachfenster zu fallen, als wäre jeder einzeln abgemessen worden.

2   Aufgehängt
    Am Vormittag fuhr Merrily ins Pfarrhaus zurück. Sie hatte vor, die Shelbones zu besuchen, falls sie mit ihr reden wollten. Lol hatte mit ihr fahren wollen, und dann gedacht, nein: Liebe mit leichtem Gepäck. Versuch sie nicht besitzen zu wollen.
    Er ging ins Studio, um an einem neuen Song zu arbeiten, der fertig sein sollte, bevor Prof zurück war. Er wusste, dass er kein Problem damit haben würde, einen neuen Song zu schreiben. Der Himmel war reingewaschen. Die Boswell fühlte sich an, als wäre sie lebendig.
    Es war etwa halb zwölf, als DI Frannie Bliss aus Leominster anrief.
    «Ich hoffe, Sie glauben nicht, dass ich wegen dieser Presseerklärunggelogen habe, Lol, aber es hat ja nun keine gegeben, nicht? Und jetzt macht unsere reizende Schneekönigin ein paar Tage Urlaub. Kommt ziemlich überraschend.»
    «Das ist Gottes Hand, Frannie. Gott schützt die Leistungsträger.»
    «Sie haben also mit niemandem darüber geredet?»
    «Hatte eigentlich gar keine Gelegenheit dazu.»
    «Mmmh   … soso.» Pause.
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