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Der Turm der Seelen

Der Turm der Seelen

Titel: Der Turm der Seelen
Autoren: Phil Rickman
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legendäre Musikproduzent für kurze Zeit nach Hause kommen. Die Langsamkeit, mit der Tom Storey in London seine Blues-Songs hervorbrachte, hatte das gesamte Studio-Team an den Rand einer Depression getrieben, erzählte Prof.   Sie brauchten eine Pause. Das kostete wieder einen Haufen Geld, klar, aber wenn Storey sich Sorgen ums Geld machen müsste, könnte er auch in Knight’s Frome aufnehmen.
    Lol saß auf einer der Packkisten in der Küche. Es war beinahe dunkel. Im Norden lag hinter hochgetürmten Wolkenbänken ein grünlicher Schimmer über dem Himmel. Ein Unwetter zog auf, und die Luft war sehr feucht.
    «Wenn ich ehrlich sein soll», sagte Lol, denn dies war ein Abend, an dem nur absolute Aufrichtigkeit möglich war, «dann muss ich sagen, dass ich die letzte Strophe des ersten Songs noch einmal neu schreiben muss. Und den zweiten Song muss ich vielleicht ganz in die Tonne hauen, weil er   … Na ja, vielleicht war ich einfach nicht der Richtige, um diesen Song zu schreiben.»
    Langes Schweigen.
    «Also können wir im Wesentlichen von einem halben Song reden, sehe ich das richtig?», sagte Prof schließlich.
    «Hoffentlich. Es tut mir wirklich leid, Prof.» Und das stimmte. Er sollte sich schämen.
    «Diese verdammte Boswell-Gitarre ist schuld», sagte Prof. «Ich habe ja gleich gewusst, dass ein Fluch auf ihr liegt.»
    «Oh nein», sagte Lol schnell. «Kein Fluch. Das glaube ich nicht. Mit einem Fluch hat das alles bestimmt nichts zu tun.»
     
    Und die Frage, ob Al Boswells
Vardo
verbrannt werden sollte, stellte sich auch nicht – obwohl Al Lol gegenüber erklärt hatte, er würde sich nicht
übermäßig
wundern, wenn er morgen oder übermorgen in der Unterwelt aufwachen würde und dort eine Menge zu erklären hätte. Er wiederholte mehrfach, dass er nichts als selbstverständlich ansah, dass er für jeden neuen Tag mit Sally und den Ponys und Stanley, dem Esel, dankbar war. Und offenkundig war er auch der
Drukerimaskri
dankbar, denn wenn er sich irgendwann einen Platz ‹leihen› musste, auf dem man seine Leiche finden würde, dann wäre er von Adam Lake als Leihgeber nicht sehr begeistert.
    War er also wirklich Rebekah begegnet, als er unter der Mittagssonne im Hopfenfeld gesessen hatte?, fragte sich Lol. War er tatsächlich in die Unterwelt hinabgestiegen?
    Ein
Gaujo
hatte keinerlei Recht, solche Fragen zu stellen, hatte ihm Al nachdrücklich erklärt. Aber gut, wenn es die kleine Pfarrerin wirklich geschafft haben sollte, die Roma-Seele der bedauernswerten Rebekah zu retten, würde er nicht bestreiten, ein bisschen den Boden bereitet zu haben.
    Al lächelte: Zigeuner logen.
    «Ich habe über dich nachgedacht, Lol», sagte er schließlich, während er sich mit den Ellbogen auf den Koppelzaun lehnte und zu Stanley hinübersah, der zwischen Butterblumen graste, «du und diese Sache mit dem Frome. Diese Wurzellosigkeit, diese Heimatlosigkeit. Wie du dir denken kannst, sehen wirRoma das als Vorteil an – kein Landbesitz, keine Städte, keine Kathedralen.»
    «Aber ich bin ein
Gaujo
», sagte Lol.
    «In diesem Fall», sagte Al lächelnd, «kannst du es als erstes Stadium deiner Charakterentwicklung betrachten.»
    Beim Weggehen hatte Lol Sally aus dem Museum kommen und zu Al hinübergehen sehen. Sie trug ein langes, weißes, besticktes Kleid mit weitem Rock und mehreren Volants. Ein Kleid, das seit mindestens vierzig Jahren außer Mode war.
     
    Prof sagte: «Was ist mit dieser anderen Sache – und ich will die Wahrheit hören, Laurence, keinen beruhigenden Schmus – war dieser Irre nochmal da?»
    «Wer?»
    « Wer?
Stock natürlich! Dieser ekelhafte Kriecher, der behauptet, ein Geist hätte ihn aus seinem Haus vertrieben. Falls du dich erinnerst, hatte ich an dem Tag, an dem ich dir gesagt hatte, du sollst mindestens
vier
neue Songs schreiben, auch eindeutig klargestellt, dass ich Stock nicht auf meinem Grundstück haben will.»
    Lol seufzte. «Du liest nicht besonders häufig Zeitung, oder? Ich meine   … wenn du arbeitest.»
    «Dann lese überhaupt keine Zeitung. Die Post auch nicht. Und auch keine Speisekarten im Restaurant. Wenn ich nämlich arbeite – so empfindlich, wie mein Magen heutzutage ist   –, esse ich nicht mal was. Nein, ich lese diese idiotischen Zeitungen nicht.»
    «Offensichtlich.»
     
    Er ging durch das stille Studio, in dem die Boswell in all ihrer Schönheit in ihrer Halterung lehnte und in dem die Spule mit der ersten – und vermutlich letzten – Aufnahme von
Die Heilung
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