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Der Turm der Seelen

Der Turm der Seelen

Titel: Der Turm der Seelen
Autoren: Phil Rickman
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dich ihrer!»
    Und die Schwefelrollen verbrannten mit blauen Flammen, während sich die wenigen vergessenen Hopfenzapfen auf dem Trockenboden gelb färbten.
    «Jesus, Erlöser der Welt   …»
    «Erbarme dich ihrer.»
    Rebekah schrie auf, als der Rauch sie einhüllte.
    Ich habe gesehen, wie sie sich übergeben hat und zitterte und um Atem rang   …
    Merrily hörte auf zu beten. Die schwere Luft fühlte sich zum Schneiden dick an. Mit einem Mal fühlte sie sich unendlich müde, und sie fürchtete, sofort im Stehen einzuschlafen, falls sie die Augen schloss.
    «Oh Gott», murmelte Simon.
    Sie sah zu ihm hinüber. Sein Gesicht glänzte vor Schweiß. Er sagte: «Du hast jemanden mitgebracht, oder?» Er stand mit geschlossenen Augen und geballten Fäusten da. «Du trägst das Gewicht von jemand anderem.»
    Merrily keuchte.
    «Blut», sagte Simon. «Sie blutet.»
    Merrily flüsterte: «Jesus, Erlöser der Welt, erbarme dich ihrer.»
    Ihrer
. Rebekahs, in ihrer weißen Bluse.
    Ihrer
. Layla Riddocks, in ihrem schwarzen Kimono.
    «Erbarme dich ihrer», rief Simon aus.
    Schweiß lief über Merrilys Wangen.
    «Heiliger Geist, Tröster   …»
    «Dreieiniger, heiliger Gott   …»
    «Erbarme dich ihrer.»
    «Und erlöse sie   …»
    «Von allem Bösen   …»
    Die Worte brachen aus ihnen heraus. Sie wechselten sich ab, waren eine Einheit.
«Von Wut, Hass und Niedertracht   … Von aller irdischen Falschheit, von der Falschheit des Fleisches und des Teufels   … Gütiger Gott, erlöse sie.»
    Das dünne Baumwollgewand klebte an Merrilys Haut. Falls sie eine Aura hatte, dann fühlte sie sich so flüssig wie Öl an. Hier zwischen den Hopfenstangen schien nun eine andere Atmosphäre zu herrschen, und zwischen den Drähten wirkte die Sonne wie ein Loch im Himmel.
    «Lamm Gottes, du nimmst hinweg die Sünden der Welt.»
    «Erbarme dich ihrer», sagte Simon.
    «Ja», sagte Merrily.
    Sie spürte, dass Rebekah ihr ganz nah war, aber davor zurückscheute, sich zum Zweiten Tod führen zu lassen. Auf einmal schoss Merrily der Gedanke durch den Kopf, dass Layla als eine Art Vermittlerin geschickt worden sein könnte. Und Allan Henry hatte gesagt:
«Layla, Liebes, entschuldige, aber diese Damen möchten wissen, ob du regelmäßig mit dem Tod zu tun hast.»
    Sie betete um Führung, doch sie konnte das Blau und das Gold nicht sehen, und ihr Brustkreuz hing ihr so schwer am Hals wie ein Amboss.
    Das Kreuz? Verhinderte das Kreuz   …?
    Sie berührte es. Bitte Gott, was soll ich tun? Das Kreuz fühlte sich kalt an. Merrily sehnte sich danach, sich zu unterwerfen, sehnte sich nach wahrer und vollkommener Selbstaufgabe, sodass ihre Lebensenergie, ihr Geist, zum Gefäß der Umwandlung für die gequälte Wesenheit Rebekah Smiths werden konnte: ein Opfer.
    Sie sah zu Simon hinüber, doch er schien sehr weit entfernt zu sein. Sie schloss die Augen und wurde sich eines starken Drucks auf ihrer Brust bewusst, so als stünde sie kurz vor einem Herzinfarkt.
    Sie ließ ihr Gebetbuch fallen und benutzte beide Hände, um das Kreuz an seiner Kette abzustreifen.
    Simon umschlang eine der Hopfenstangen mit einem Querholz, die wie Kreuze wirkten, hing an der Stange wie ein Matrose, der sich im Sturm an den Mast gebunden hat, sein Körper zuckte in Krämpfen. Ein übelriechender Nebel war zwischen ihnen beiden aufgezogen.
    Da hörte sie vom anderen Ende des Feldes einen Schrei.
    «Oh, gnädige Jungfrau!»
    Die Allee aus Rankgestellen wirkte nun wie ein Tunnel, ein Tunnel durch die Mitte des Tages, und dann erklang über Merrily ein knirschendes Geräusch, als ob das Querholz, das ihre Stange mit der Simons verband, mit einem Mal unter extremer Spannung stünde.
    Sieh nicht hin.
    Aber natürlich musste sie hinsehen.
    Ihren Körper fesselte ein unklares Grauen, aber ihre Augen folgten dem bleifarbenen, aufgeladenen Knarren hinauf zu dem Querholz. Und von dort herab hing zwischen ihr und Simon St.   John die Leiche Gerard Stocks. Langsam drehte sich sein Körper um sich selbst, und zwischen den Rosenlippen voller Speichel sah man eine weiße, belegte Zunge hervorstehen.
    Merrily schluchzte auf und sank in die Knie.
     
    Versagt.
    Es war zu stark für sie beide.
    Zu stark für
sie selbst
.
    Stock schwang von einer Seite zur anderen wie ein Pendel.
«Sie haben doch keine Ahnung von der ganzen Materie, verdammt. Sie stochern bloß im Nebel, stimmt’s? Mit Ihnen habe ich nur meine Zeit verschwendet, Merrily. Ich hatte ja schon gehört, dass Sie nur aus
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