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Der Tuerke - Das Original

Der Tuerke - Das Original

Titel: Der Tuerke - Das Original
Autoren: Ihsan Acar
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Obst- und Gemüseladen auf.
    Der Deutschländer aber (seit 30 Jahren in einer kleinen Mietwohnung lebend) wundert sich über diesen Senkrechtstarter: »Der ist als Tourist gekommen. Jetzt hat er ein Haus und ein Geschäft. Wie hat er das bloß gemacht?«

Selbständigkeit auf Türkisch
    Die wenigsten Türken sind zufrieden mit ihren Jobs. Jeden Tag dasselbe. Die Arbeit ist langweilig. Das Gehalt ist zu niedrig. Der Rücken schmerzt. Der deutsche Vorarbeiter nervt und die Schichtarbeit erst recht.
    Ganz oben auf der Liste der Lieblingsgesprächsthemen der Deutschländer steht die Selbständigkeit. Egal, ob in der Mittagspause, nach dem Feierabend zu Hause oder im Teehaus. Man spricht über die Vorzeige-Türken, die es geschafft haben:
    Türke
1
:
»Guck dir doch Kemal Sahin 1 an! Weißt du, wie viele Adessa-Läden es schon gibt?«
    Türke
2
:
»Ja, lass uns doch auch ins Textilgeschäft einsteigen!«
    Türke
1
:
»Genau!«
    Türke
2
:
»Oder wir machen ein Reisebüro auf. Öger hat auch mal so angefangen.«
    Türke
1
:
»Jetzt ist er steinreich.«
    Die Türken fragen sich dabei nicht, was sie können oder welche Begabungen sie haben. Sie orientieren sich nur am Erfolg der anderen. Wobei sie den Begriff Erfolg recht großzügig interpretieren: Es brauchen nur drei Kunden hintereinander Döner-Pita beim Landsmann zu kaufen, schon gilt der Inhaber als Fast-Food-Mogul. Denn die Rechnung ist einfach: drei Döner-Pitas in zehn Minuten. Macht18 Döner in der Stunde. Also: 200 Döner-Pitas am Tag. Täglich 600 Euro werden nur durch den Verkauf von Döner-Pita generiert. Wenn man andere Snacks und Getränke dazuzählt, kommt man auf weit über 1000 Euro. Der Türke prognostiziert bescheiden: »Sagen wir, wir machen nur 1000 Euro Umsatz am Tag! Das sind 30 000 im Monat.«
    Türke
2
(zählt die Kosten auf):
»1500 Euro für Miete, Strom und Wasser. 2000 bis 3000 für den Einkauf. Vielleicht noch 1000 Euro für Personal.«
    Türke
1
:
»Macht 5500 Euro! Sagen wir 7000.«
    Türke
2
:
»Dann bleiben 23 000 Euro Gewinn.«
    Türke
1
:
»Dabei haben wir knapp kalkuliert. Bestimmt bleibt viel mehr übrig.«
    Der geschilderte Dialog ist ein Original-Businessplan auf Türkisch. Wozu sich mit Details befassen? Dass die Mitarbeiter versichert sein müssen, erfahren die beiden noch früh genug. Dass das Kilo Tomaten nicht 49 Cent kostet und der Eisbergsalat zu bestimmten Zeiten einen Euro im Einkauf kosten kann, bekommen sie früher oder später auch raus. Die horrenden Ladenmieten in der City und der monatliche Stromabschlag liegen gleichfalls über der Kalkulation. Das Ordnungsamt verlangt kurz vor Eröffnung einen aufwendigen Umbau. So müssen innerhalb kürzester Zeit die Gewinnprognosen mehrere Male revidiert werden. Die neue Vorgabe der Partner lautet: »In den ersten Monaten müssen wir die Verluste wieder reinholen.« Die größte Überraschung bereitet ihnen aber irgendwann das Finanzamt. »Wieso Finanzamt? Wir haben doch nichts gekauft von denen. Warum wollen die Geld von uns?«
    Wenn irgendwo noch Reserven vorhanden sind oder auf die Schnelle eine Wohnung in der Türkei verkauft wird, kann das Finanzamt zufriedengestellt und das Geschäft fortgesetzt werden. Am liebsten würde man den Laden dichtmachen und wieder in die Fabrik arbeiten gehen. Aber der Job ist weg. Außerdem würde man sich in den Augen der Landsleute blamieren. Deshalb hält man bis zum bitteren Ende durch.
    Zwei Jahre später:
    Türke
1
:
»Wenn ich das gewusst hätte. Wir haben vorher mehr Geld in der Tasche gehabt.«
    Türke
2
:
»Und der Stress! Ich hätte nie gedacht, dass eine Dönerbude so viel Arbeit machen kann.«
    Türke
1
:
»Jetzt hängen wir hier täglich von morgens bis Mitternacht und bezahlen Schulden.«
    Um ehrlich zu sein: Diese beiden Türken gehören zu einer winzigen Minderheit, die den Schritt in die Selbständigkeit tatsächlich gewagt hat. Denn die meisten Deutschländer reden zwar jahrelang über ihre Vorhaben, wenn es aber hart auf hart kommt, kneifen sie.
    Sie wollen in die Gastronomie. Sie wollen importieren und exportieren. Sie könnten sich auch – selbst wenn das nicht ganz so spannend ist – einen Obst- und Gemüseladen vorstellen. Aber irgendwie finden sie immer eine Ausrede, warum sie doch nicht selbständig werden.
    Während einer Konferenz stellte einmal ein türkischer Soziologe fest:
    »Ein Amerikaner eröffnet sein Geschäft. Danach fängt er erst an zu überlegen: Wie komme ich aus den Miesen wieder raus? Wie optimiere
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