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Der Tuerke - Das Original

Der Tuerke - Das Original

Titel: Der Tuerke - Das Original
Autoren: Ihsan Acar
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Liedern wird man noch kein Künstler. Ein Künstler muss in jedem Atemzug seine Kunst leben und sich ihrer Verantwortung bewusst sein. Sonst ist er nur ein Sänger.«
    Zwischen den Kassetten von Zeki Müren und Bülent Ersoy lag auch eine Kassette von Sezen Aksu, die er sich aus mehreren Alben der Künstlerin zusammengestellt hatte.
    Vor Kurzem fragte ich ihn: »Halil Amca! Wieso hörst du eigentlich Sezen Aksu? Das ist doch eher Popmusik.«
    Er antwortete: »Sezen Aksu ist nicht irgendeine Sängerin, die sich Lieder ausdenkt für Leute, die ständig hinter neuen Moden her sind. Die ist nicht auf Geld aus. Sie macht das mit der Seele. Das spüre ich!«
    Immer wieder hört er sich das melancholische Lied »Vazgectim« von Sezen Aksu an:
    Ich habe deine Augen aufgegeben
    Ich habe deine Worte aufgegeben
    Meine Haut kennt deine Hände nicht
    Mein Herz kennt dein Herz nicht
    Oh dieser Geruch, diese Haut, diese Berührung
    Und so fragte ich ihn: »Halil Amca, warum hörst du dir immer dieses Lied an? Hast du irgendwo eine Geliebte versteckt, die du nicht vergessen kannst?«
    Natürlich war meine Frage eher als Scherz gemeint, da Türken in dem Alter in der Regel keine Geliebten mehr haben und insgesamt deutlich tugendhafter als in ihrer Jugend sind.
    Doch er gab mir eine ernsthafte Antwort: »Dieses Lied habe ich zum ersten Mal Anfang der neunziger Jahre gehört. Es gefiel mir auf Anhieb. Aber ich habe damit nie ein Mädchen oder eine Frau verbunden. Die Klänge der Ud 1 , die Melodie und auch der Text schließen mir sanft die Augen. Ich stelle mir vor, in Istanbul zu sein. Dieses Lied ist mein Lied. Es ist das Lied von meiner Liebe zu Istanbul. Die Augen in diesem Lied sind die Lichter Istanbuls, die ich am Fuße der Bosporus-Brücke bei einem Glas Tee bewundere. Auch der Mond, der sich auf dem Wasser wunderschön spiegelt, sind die Augen, die ich vermisse. Die Worte sind das Rauschen des Wassers, der Gebetsruf, der aus allen Richtungen kommt. Das ständige Hupen der Autos, die Gesänge der Schlachtenbummler vor dem Derby Fener gegen Cimbom – das alles sind die Worte meiner Geliebten. Aber weißt du, warum dieses Lied mein Lied ist? Warum ich mich in diesem Lied wiedererkenne?«
    Er bekam feuchte Augen. Ich hatte bis zu diesem Moment nicht gewusst, dass man aus Liebe zu einer Stadt weinen kann. Halil Amca beantwortete seine Frage selbst, ohne meine Antwort abzuwarten: »Meine Kindheit, meine Jugend habe ich in Istanbul verbracht. Damals dachte ich, es sei nichts Besonderes, dort zu leben. Ich konnte den Wert nicht einschätzen. Doch sobald ich nach Deutschland kam, war mir klar, was für eine Perle diese Stadt ist. Ich vermisse diese Stadt wie andere Menschen ihre Geliebte, die sie seit Jahren nicht gesehen haben.«
    Er schluckte: »Inzwischen habe ich – wie Sezen Aksu – aufgegeben. Ich habe Istanbul aufgegeben. Wir kommen nicht mehr zusammen.«
    Ich fragte ihn natürlich nicht, warum er nicht einfach zusammen mit seiner Frau seinen Lebensabend in Istanbul verbringt. Die Gründe sind wie für viele andere, die sich nicht zu einer Rückkehr durchringen können, immer dieselben: »Die Kinder gehen noch zur Schule.« Oder: »Sie arbeiten.« Und was am schwersten wiegt: «Die Kinder wollen nicht zurück in die Türkei.«

    1
    Ud: Laute mit kurzem Hals

Und jetzt?
    Jetzt haben Sie genügend Anhaltspunkte, wie Sie sich an der Integration der Deutschländer beteiligen können.
    Besorgen Sie sich eine CD von Ferdi Tayfur oder Sezen Aksu, öffnen Sie die Fenster beim Autofahren und drehen Sie lauter, sobald Sie Türken sehen. Die werden sich unheimlich freuen.
    Bummeln Sie im Fenerbahce-Trikot durch die Innenstadt und Sie werden sich wundern, wie oft Sie angesprochen werden.
    Aber am meisten Erfolg werden Sie haben, wenn Sie das nächste Mal im Discounter jeden Türken herzhaft auf die rechte und linke Wange küssen.

Informationen zum Buch
    Wir leben nebeneinander, wir arbeiten miteinander, wir kaufen gerne »beim Türken« ein – aber wissen wir auch, was ihn bewegt? Was er denkt, was er fühlt? Ihsan Acar schildert so liebe - wie humorvoll – und garantiert nicht politically correct –, was passiert, wenn »Deutschländer« Urlaub in der alten Heimat machen, warum junge Türken stundenlang mit dem Auto scheinbar ziellos durch die Gegend fahren, wieso Grillen zum Lebensgefühl gehört, wie Ehen arrangiert werden oder auch nicht, und warum Istanbul die schönste Stadt der Welt ist.

Informationen zum Autor
    Ihsan
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