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Der Tribun

Der Tribun

Titel: Der Tribun
Autoren: Iris Kammerer
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Verbanius’ Händen und verstaute es in einer Satteltasche; dann trat er wieder vor seinen Befehlshaber.
    »Halte dich nirgends lange auf, Tribun. Deine Männer kennen den Weg. Beim letzten Versorgungsposten wird ein Bote warten, der euch zu Segestes führen wird. Finde heraus, ob seine Beschuldigungen glaubwürdig sind – er soll Namen nennen, Cinna, Namen! Schenke keiner dieser haltlosen Verdächtigungen Glauben, irgendwer plane irgendwo irgendwie einen Aufstand.«
    Nickend verschob Cinna den Sitz des Schulterriemens, an dem er sein Schwert trug, strich über die blank polierten getriebenen Bronzebeschläge, die Wölfin mit den Zwillingen, umrahmt von schlank aufstrebenden Akanthusblättern. Einen Augenblick lang schloss er die Finger um den elfenbeinernen Griff. Mit dem Kettenhemd und dem einfachen Helm wäre er unter den Reitern nicht aufgefallen, wenn er nicht für diesen Ritt seinen großen Schimmel ausgewählt hätte, den er dem väterlichen Gestüt verdankte, einem weitläufigen Gut bei Perusia. Ein solcher Renner, gezogen auf saftigen, hügeligen Weiden, ausgebildet zu einem unerschrockenen Schlachtross, war für einen Soldaten der Eskorte unerschwinglich.
    Einen Atemzug lang legte der Legat seine Hände um Cinnas Schultern, dann hieß er ihn mit einem leichten Stoß aufbrechen. Cinna schwang sich auf den Schimmel und lenkte ihn auf die Hauptstraße des Lagers. Während die Reiter sich zu zweit hinter ihm einreihten, nahmen Standartenträger und Decurio ihre Plätze neben ihm ein. Bei dem Gedanken, welche Bedeutung der Legat diesem Auftrag beimessen musste, wenn er seinen eigenen Stellvertreter ohne Wissen des Provinzstatthalters zu einem Stammesfürsten schickte, der dunkle Warnungen ausstieß, grub sich ein winziges Lächeln in seine Mundwinkel.
    Als sie das Lagertor durchritten hatten, befahl der Decurio anzutraben, und Waffen und Geschirre klapperten und rasselten in der nächtlichen Stille, während sie der Straße zur Brücke hinunter folgten.

I
    Weizenfelder. Endlose, leuchtende, im warmen Sommerwind wogende Weizenfelder.
    Eine ferne Stimme streichelte die Ohren. Fremde Laute. Ein leises, metallisches Klingeln, das die Luft erschütterte. Stallgeruch. Grüne Augen. Die grünen Augen einer längst verstorbenen griechischen Kinderfrau.
    Die Stimme summte eine schlichte Weise. Fingernägel gruben sich in Tuch und Haut. Kühl rieselte Wasser über die Wangen. Durch den Schleier sah er ein blasses Gesicht und Haar von Gold, dessen Licht über ihm zusammenschlug.
    Kälte auf der Stirn zwang ihn aufzutauchen, nach Luft zu schnappen. Tropfen rannen über Wangen und Schultern. Pulse tobten im linken Oberschenkel. Sein Keuchen übertönte das tröstende Summen. Er lebte.
    Jemand beugte sich über ihn, eine Hand stützte ihm den Nacken, eine andere hielt einen Becher an seinen Mund. Scharfer Dampf überdeckte den Geruch von Asche und Wolle, von Stroh und Schweiß. Irgendwo perlte Kinderlachen auf. Die Finger umkrampften den Becher. Der Hals reckte sich, zitternd vor Anstrengung. Zunge und Rachen lechzten danach, den brennenden Durst zu löschen mit dem Trank, der bittersüß die Lippen netzte, warm in den Magen hinabfloss und sich dort verströmte. Er lebte.
    Zäh glitten die trüben Schleier von ihm ab. Ein Mädchen, eine junge Frau, saß bei ihm und betupfte seine Stirn mit einem Tuch. Zwei weizengelbe Zöpfe fielen ihr über die Schultern, und eine Kette aus kleinen Goldspiralen warf Schatten in den Ausschnitt ihres hellen Kleides.
    Sie entzog seinen Lippen den Becher und drückte ihn sanft in das raschelnde Kissen. Ein Kind jauchzte in der Ferne. Das Mädchen schob seine Arme unter die Decke, dann lag ihre Hand einen Atemzug lang auf seiner Stirn, glitt über seine Augen, und er sank rücklings in Dunkelheit.
     
    Er erwachte in schwärzester Finsternis, die ein durchdringender Gestank vergiftete, Mist und kalter Rauch. Grobes Tuch scheuerte auf seiner Haut. Heiß pumpte das Blut im linken Oberschenkel, und in der rechten Schulter zerrte etwas unentwegt an einer einzelnen Faser seines Fleisches. Vibrierendes Schnarchen drang an sein Ohr, übertönte das Rauschen windgestreichelter Wipfel, das ihn in die Sicherheit des Schlafes lockte. Angestrengt lauschte er in die Nacht, hörte Atemzüge, die aus weiter Ferne heranwogten, unterbrochen vom Knistern trockener Halme. Die tastenden Blicke versuchten das Dunkel zu durchdringen, erkannten aber nicht einmal Schatten. Er wagte kaum zu atmen, bis die Brust enger
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