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Der Träumer

Der Träumer

Titel: Der Träumer
Autoren: Heinz G. Konsalik
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bist ganz anders als ich.
    Ja, eigentlich bin ich viel zu ernst für dieses Leben, und viel zu ernst erst für die Liebe. Doch was hilft's, wer im Leben schon mehr sah als das Morgen- und das Abendrot und dazwischen etwas Sonnenschein und Regen, der muß auch in der Liebe mehr als einen Taumel sehen und all das mit Bedachtsamkeit in das Dasein setzen, was die Jugend sorglos, keck, leichthin überspringt.
    Bin ich bedachtsam? Sehe ich nicht mit offenen Augen Paulchen vor mir, klingt in meinem Schlaf nicht ihre Stimme wieder, und strömt vom Herzen nicht das Blut in heißen Wellen durch die Adern? Ach, Paulchen, Menschen, die von innen brennen, sind im Wesen gleich, auch wenn die Glut sich außen anders zeigt und sich für jeden wandelt. Ich kann dir gegenübersitzen, kann dich lächelnd sprechen hören, und du wirst immer meine Augen voll Interesse sehen und nicht meinen inneren Kampf gegen die Versuchung bemerken, mir selbst nachzugeben und mein Haupt in deinen Schoß zu legen.
    Wie wenig muß der Dichter von der Liebe sagen! So, wie die höchste Ehre Gottes nur sein Name ›Gott‹ sein kann, der, mit Innigkeit gesprochen, allumfassend wird, so wird die Liebe nur den größten Wert und jene süße Schmerzlichkeit erfassen, wenn sie wie ein Gebet im Mund der Liebenden nur ›Liebe‹ heißt. Oh, könntest du mich ganz verstehen, wenn ich dieses heilige Wort in mir wie eine Fackel trage, die mich erkennen läßt, was ein Diogenes mit der Laterne vergeblich suchte – die Menschenwürde in der Menschlichkeit und mit ihr auch den Menschen in der Liebe!
    Im Zimmer nebenan ist es jetzt still. Die Kleine träumt wohl von den Küssen ihres Liebsten. Von unten dringt Stimmengemurmel herauf, eine Haustür fällt zu – dann ist dunkle Leere. Nur um das Dach kichert der Wind wie ein neckender Faun. Wie wenig habe ich früher auf die alltäglichen Geräusche geachtet, sie waren tot für mein Verständnis, waren eben Lärm ohne Tiefe. Jetzt aber wird der Wind zum Kobold, der mich, den Sinnenden, verlacht. Das unendlich leise Tappen weicher Katzensohlen auf den Schindeln wird zum Lockruf der Natur, und in der eigenen Brust dröhnt Hammerschlag auf Hammerschlag und schmiedet meine Seele, daß sie ein Leben lang das Schicksal trägt.
    Ich schließe die Augen … ja, ich lasse willenlos mich treiben … ich fahre jetzt zu Paulchen, nur, um sie zu sehen, nur, um sie zu sprechen … eine, zwei, höchstens drei Stunden lang, und dann zurückzureisen, um weiter in der Hoffnung stark zu werden. Doch sieh – fahre ich wirklich nur zu Paulchen? Ist dies nicht auch eine Fahrt zu meinem eigenen Herzen? Was wußte ich, wer ich in Wahrheit bin? Ich trage hundert Masken, hundertfach fällt das Leben mich an. Jetzt aber gleiten diese Hüllen ab, und ich stehe nackend vor dem Spiegel meiner Selbstkritik.
    Das also bin ich? Hm, ziemlich primanerhaft – denn wer wird schwärmen wollen, wenn Überlegung am Platze ist?
    Halt! Oh, zerstöre nicht das Wachstum meiner Menschlichkeit, denn ich war Mensch bisher und habe eingesehen, wie wenig wie dies doch ist, wenn der Geist sich nur eine weite Halle baut und nicht die Wände schmückt und wohnlich macht, und sei es auch nur mit einer Blume, die einsam in einer Vase steckt. Was diese Blüte Gold sich von der Sonne trank, wird sie in meiner Halle widerleuchten lassen.
    Wie still es ist! Ich höre nur das Klopfen meines Herzens und bin glücklich, daß es schnell und drängend schlägt. Ob Paulchen an mich denkt? Wohl weiß sie, daß ich morgen komme – doch ob in ihr die gleiche Sehnsucht glüht und die Erwartung auf einen Gipfel treibt, von dem abzustürzen, würde sie enttäuscht, tödlich wäre?
    Phantast! Ich stehe auf und starre in einen wirklichen Spiegel – den an der Wand.
    Das ist mein Antlitz, ruhig, ohne Zucken, glatt wie immer. Und innen speien die Vulkane und strömt die glühende Lava aus den Klappen meines Herzens in die durstigen Adern, ohne sie zu verbrennen. Dies kommt einem Wunder gleich.
    Wie merkwürdig ist doch der Mensch! Die Augen blicken fast verschlafen. Wo ist der Glanz, aus einem Sonnenstrahl geboren?
    O Mensch, Mensch – diese Maske, diese bildgewordene Glätte deines Wesens –, schämst du dich des Gefühles zu Paulchen, weil es jung ist, blühend jung wie zur Zeit der ersten Jugendtorheit im Schein des Mondes?
    Ich wende mich vom Spiegel ab und trete ans Fenster. Ein leichter Regen rieselt lautlos aus dem Schwarz des nächtlichen Himmels, schwach glänzt im ungewissen
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