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Der Träumer

Der Träumer

Titel: Der Träumer
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Licht das Pflaster einer Straße. Weit in der Ferne singt ein Mann, bellt ein Hund. Der Mann mag betrunken sein, der Hund nicht. Im Haus gegenüber geht im letzten hellen Fenster das Licht aus … ach, es ist Frieden in der Welt für jedes Auge, doch wie viele Herzen mögen in dieser Nacht im Kampfe der Beglückung beben? Was bricht aber nicht alles, wenn den Rausch der Sinne die Helle eines Morgens aufzehrt und unser Leben doch zum Mörder unserer Seele wird?
    Ich schaudere frierend. Nein, Paulchen, nein, laß uns daran nicht denken, ich will nicht taumeln, gar stürzen, ich will zu meiner Welt auch deine Welt noch nehmen und werde lächeln, wenn der Schmerz der Last meinen Körper prüft, denn wer im Schmerze lächelt und blutend sich freut, wird lieben können, wenn die Götter gnädig werden.
    Ich fahre zu dir, Paulchen, mit meinem Herzen, das ich neu entdeckte, das dein verborgenes Herz in die Sonne reißen will. Ob du mich ganz, ganz tief verstehen wirst?
    Ach, es ist schmerzlich schon, von diesem Glück zu träumen …
    Der Zug rattert über die notdürftig geflickte Eisenbahnbrücke hinein in das weite Trümmerfeld. Unter mir zieht breit der Strom nach Westen, durchsetzt mit den Skeletten der gesprengten Brücke. Im Morgendunst ragen die Türme halbzerstampfter Kirchen in die Höhe – die Stadt hat mich wieder.
    Ich weiß nicht, ob das Rattern der Räder oder der Schlag meines Herzens in meinen Ohren lauter klingt. Ach, ich weiß überhaupt nicht, was ich sagen soll, wenn ich ihr gegenüberstehe. Wie schwach sind alle Worte, wenn man nur die Lippen sieht, die sich dem Kuß entgegensehnen, und wie verteufelt lächerlich ist dann der Mensch, wenn er den Kopf beugt und die Hände statt der Lippen küßt.
    Vor einigen Jahren schrieb ich ein dickes Buch, das die Hohlheit der Gesellschaft schmähte, das, im Gegensatz dazu, junge Menschen in der Freiheit ihrer Herzen zeigte. Ich ließ die Menschen sprechen, wie der Urdrang ihnen die Worte prägte, und ließ sie handeln, wie das Schäumen ihres Blutes sie zum Glücke trieb. Damals schrien diese Masken der Gesellschaft auf, nannten mich den Zerstörer der Moral, einen Ketzer – und heute, o Ironie, bin ich der Ketzer meiner selbst, da ich die Maske der Gesellschaft wieder trage als einen Schild vor meinem ungewappneten Gefühl.
    Ein Schriftsteller hat es leicht, die Welt nach seinem Geist einmal zu schildern, doch sie zu leben, wird er selten fähig sein, es sei denn, daß er mit dem Geist auch seine innere Substanz wandelt. Er weist den anderen den Weg, die diesen, auf den dichterischen Rat vertrauend, auch beschreiten – er selbst aber zögert vor der eigenen Straße und wird dadurch zum Scharlatan. Er, der ein lächelnder Prophet der Menschlichkeit zu werden meinte, fällt sich selbst in den Rücken.
    Ach Paulchen, all das kannst du nicht verstehen. Du lebst dein Leben sicher zwischen Pflicht und Ruhe. Dein Leben hat zwei Pole, die dich im Gleichgewicht halten und durch diese Menschheit tragen. Doch ich bin ein Komet – ich zische feurig auf und zittere vor jenem Augenblick, in dem die Bahn sich senkt und ich flammend in die Tiefe stürze. Du mußt mich halten, hörst du, mußt … oh, ›müssen‹ sind Gedanken, nur das Können ist real, und was du kannst, Ersehnte, ist nicht ›müssen‹, es ist ›wollen‹.
    Der Zug fährt fauchend in den Bahnhof. Über mir wölbt sich das Stahlgerippe eines kaputten Hallendaches. Die Menschen hasten zu den Sperren, stoßen, ballen sich zu Klumpen. Ich stehe ganz allein noch auf dem Bahnsteig, starre in das sich von mir entfernende Gewühl und weiß nicht, was ich denken soll.
    Es ist jetzt plötzlich leer in mir, so gähnend leer, und meine Seele irrt durch weite Räume und sucht den rettenden Gedanken in der Einsamkeit. Was soll ich sagen? Soll ich steif sein, diplomatisch, oder gar galant? Soll ich mich wie der Bräutigam im Film benehmen? Ach, Paulchen, wüßte ich mit Sicherheit, was ich nur zu ahnen meine, ich würde ich sein, weiter nichts, und doch war es mein größtes Glück, mich selbst in meiner Ganzheit hinzugeben.
    In einem Blumenhaus an der zerstörten Oper erstehe ich einen Riesenstrauß goldener, purpurner und prallgefüllter Astern, der durchsetzt ist mit grünen Farnen und langen, biegsamen Gräsern. Er soll für Paulchen sein, denn Blumen haben Freude in sich eingesogen, und Freude ist die beste Bundesgenossin, um Sympathien zu erregen.
    Wie heiß die Sonne scheint nach all den trüben Tagen. Sie hat
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