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Der Träumer

Der Träumer

Titel: Der Träumer
Autoren: Heinz G. Konsalik
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den Morgendunst besiegt, ihn aufgezehrt, und bizarr liegen in ihrem Licht nun die Trümmer der Ruinen. Ich gehe durch die Straßen, in der Hand den mächtigen Strauß, und lächle vor mich hin, weil ich an Paulchens blonde Locken denke. Was kümmern mich die Leute, denen mein Lächeln zu denken gibt, die an mir zweifeln mögen – sie wissen alle nicht, daß ich den Weg voll Rosen vor mir sehe und selbst der Kalkstaub auf den Trümmern für mich einer Schicht von losen Blütenblättern gleicht.
    Ach, phantasielos ist doch unsere Welt! Fordert das Dasein auch die Härte absoluter Klarheit – ich will das gar nicht leugnen –, so laßt mich dennoch einmal in der Liebe fern von allem sein, was sonst den Menschen allein real und wichtig ist. Laßt mich träumen! Laßt mich schweben! Der Materialist wird nie das Glück der Seligkeit erfahren. Halb nur nenne ich den Menschen, der nie der Lust erlag, als Fremder sich selbst zu begegnen.
    Ja, dort ist Paulchens Haus. Auch hier, in der Nähe, hat der Kriegszyklop den Boden noch so sehr geschüttelt, daß die Wände barsten, daß Steine brachen, auch hier röchelten und starben die Menschen in den zusammenstürzenden Kellern. Und doch scheint heute mir ein Blühen über dieser Stadt zu liegen, als brächen aus den Trümmern sieghaft Frühlingsknospen hervor.
    Langsam wische ich mir mit der Hand die drängenden Gedanken von der Stirn. Dabei fühle ich auch, daß leichter Schweiß mir aus den Poren dringt. Vor den Augen flimmert mir die Luft. Wie glücklich wäre ich in diesem Moment, alles zu sein, nur nicht ein Autor, der sich dem Drang der Gefühle beugt und nur nach außen wie ein gewöhnlicher Mensch aussieht, der schwitzt und scheinbar überlegend zögert.
    Wie ungeheuer dick ist doch die Schminke unseres Lebens, die selbst das Lächeln des Glücks zur starren Grimasse werden läßt. Paulchen, du mußt sie sehen, diese Schminke, mußt hinter den Schleier meiner Augen blicken, du mußt die Hülle, die gesellschaftlich und glatt sich vor dir neigt, zur Seite stoßen, um mit dem Kelch deines Herzens all die Tropfen meines Glücks aufzufangen, die sich von meinem Herzen lösen.
    Ich stehe vor der Tür, drücke zögernd auf den Klingelknopf. Grell schreit die Glocke in die Stille des Hauses hinein, und ich hole tief Atem.
    Ich stehe vor der Tür und gebe mich kühl, gemessen, selbstbewußt, ein wenig herablassend fast, so, wie mich viele kennen in der Gesellschaft. Ein rascher, prüfender Blick gilt meiner Bügelfalte: sie steht scharf über den hellen Sommerschuhen, der Sakko und das Hemd sind farblich aufeinander abgestimmt. Ich taste mit der freien Hand – die andere hält den Blumenstrauß – nach dem Knoten des Schlipses, er sitzt nicht schief, er sitzt richtig. Ach Paulchen, wenn du sehen könntest, daß diese Zeichen innerer Unsicherheit mich selbst durchaus ärgern, doch ich kann mich ihrer nicht enthalten, sie überwältigen mich.
    Im letzten Augenblick fällt mir ein, daß die Blumen aus dem Papier gewickelt werden müssen. Rasch hole ich das Versäumte nach, überlege mir zugleich einen wirkungsvollen Aphorismus. Zu spät.
    Ein Kind lacht irgendwo im Haus. Wessen Kind? Ich frage mich das, aber ist es nicht egal? Was gehen mich irgendwelche Untermieter mit einem Kind an?
    Ein Schritt nähert sich von innen der Tür. Ein leichter, eiliger, fast springender Schritt. Rasend schlägt das Herz mir bis zum Hals, meine Finger krampfen sich zusammen, daß die Knöchel weiß unter der Haut erscheinen. Paulchen, Paulchen, jetzt möchte ich gleich die Augen schließen und nur den Kuß deiner Lippen fühlen. Aber ich wage nicht die Initiative dazu, die von mir ausgehen müßte, zu ergreifen. Ich lächle nur, richte mich auf und lockere meine Taille, um elegant nach vorn einzuknicken.
    Die Tür öffnet sich, Nebel wallen vor meinen Augen, und in diesem Nebel leuchten zwei braune Augen, zwei rote Lippen. Dichte, blonde, fast goldene Locken rahmen das hübscheste Mädchengesicht der Welt ein. Der Mund lacht, makellose Zähne blitzen. Paulchen freut sich. Ich höre mich sagen: »Gnädiges Fräulein, ich habe mir erlaubt, mein Versprechen einzulösen …«
    Ein Aphorismus ist das nicht. Ich habe mir also erlaubt, mein Versprechen, sie zu besuchen, einzulösen.
    »Kommen Sie rein«, sagt Paulchen vergnügt.
    Auch kein Aphorismus.
    Kein Aphorismus, nein, aber das Natürlichste, Einfachste, Klarste, Beste, Klügste, was in dieser Situation zu sagen ist.
    Ich bin stolz, daß ich nicht
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