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Der totgeglaubte Gott

Der totgeglaubte Gott

Titel: Der totgeglaubte Gott
Autoren: Mark Lilla
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von einem leicht abgewandelten Bild des menschlichen Geistes und der menschlichen Beziehungen aus und kamen daher zu völlig anderen Schlussfolgerungen, was die dringend nötige Therapie des Christentums angeht. Hobbes glaubte an seine Vorstellung vom menschlichen Geist. Daher stand für ihn fest, dass nur ein allmächtiger Herrscher, der zugleich Oberhaupt der Staatskirche war, die Bedingungen schaffen könne, unter denen die ungesunde Angst des Menschen sich legen würde. Der Mensch wäre frei, der Handel würde aufblühen, die produktiven Künste und Wissenschaften florieren. Die Liberalen hatten dieselben Ziele, doch sie gingen davon aus, dass diese nur verwirklicht werden konnten, wenn die Macht der Regierung begrenzt würde, wenn Kirche und Staat streng voneinander getrennt wären und religiöse Toleranz Allgemeingut wäre.
    Nehmen wir bspw. John Locke. Sein wichtigstes erkenntnistheoretisches Werk Versuch über den menschlichen Verstand von 1689 nimmt die wichtigsten Erkenntnisse von Hobbes’ geistesphilosophischen Thesen auf, gibt ihnen jedoch ein etwas anderes Gepräge. Auch er sieht die Erkenntnisfähigkeit des menschlichen Geistes als begrenzt und irrtumsverhaftet an, aber nicht, weil dieser nur passiv, ohne eigenen Willen Sinneseindrücke empfange und sie abspeichere. Locke sieht den menschlichen Willen als Fähigkeit zur Überlegung, die die Wahrnehmung abwägt und entscheidet. Hier haben wir es eher mit dem »Geist in der Maschine« zu tun als mit dem Schlachtfeld der Eindrücke und Leidenschaften, das Hobbes uns präsentiert. Konsequenterweise erkennt Locke dem Menschen auch eine gewisse Unabhängigkeit zu und die Fähigkeit zu lernen. Außerdem besitze der Mensch eine angeborene Neugier, die nicht von der Furcht gelenkt werde. Dass der Geist so häufig irrt, hat Locke zufolge damit zu tun, dass wir mit der Unsicherheit unserer begrenzten Fähigkeiten nicht umgehen könnten. Die meisten Menschen seien einfach zu faul oder zu schlecht ausgebildet, um sich der langweiligen Aufgabe zu widmen, Evidenz vernunftgesteuert auszuwerten. Sie ziehen Pseudo-Sicherheiten vor, auch wenn diese ein Erbe der Tradition sind und sich nicht an der Erfahrung messen mussten. Sobald sie sich aber dem Dogma verschrieben haben, wollen sie es auch allen anderen aufnötigen. So entsteht und verbreitet sich John Locke zufolge der Aberglaube. Das aber bedeutet, dass er sich auch bekämpfen lässt, wenn der Mensch genug Muße und Bildung hat, um seine natürlichen Fähigkeiten weiterzuentwickeln. Die Aufklärung ist also einfacher, als Hobbes sich das vorstellte.
    David Hume, der etwa ein Jahrhundert später publizierte, zog einen anderen Ansatz vor. Er ging sogar noch weiter als Hobbes. In Ein Traktat über die menschliche Natur (1739–1740) und Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand (1748) argumentiert er, die Grenzen des menschlichen Geistes machten uns sogar unfähig, einen Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung herzustellen. Und so zog er einen aufsehenerregenden Schluss: Der Glaube sei nicht etwa irrational, sondern allgegenwärtig. Die Vergangenheit kann mich zwar zu dem Schluss verleiten, das Ei vor mir sei essbar, wirklich wissen aber kann ich das nicht. Und trotzdem esse ich das Ei im festen Glauben, dass ich darin einen Dotter finden werde und kein Gift. Und damit habe ich recht: Der einzig sinnvolle Weg zu leben, so Hume, sei es zu akzeptieren, dass wir alle von Unsicherheit umgeben sind und uns auf unsere Gewohnheiten und unseren Instinkt verlassen müssen. Das Problematische an der Religion sei nicht, dass sie sich auf den Glauben stütze, sondern dass sie Sicherheit suche. Sie klammert sich an Wahrheiten, die jenseits unserer Fähigkeiten liegen. Sie spricht die Sprache der Metaphysik, die unsere Unsicherheit noch vermehrt, indem sie unseren Geist vernebelt. Wie Hobbes geht auch Hume davon aus, dass die Religion aus der natürlichen Unwissenheit des Menschen und seiner Angst entsteht. Andererseits aber erkennt Hume auch an, dass wir neugierig sind und nach Antworten auf diese Fragen streben, die wir uns gleichwohl nicht verschaffen können. Daher seien diese Fragen wie Räuber: »Verjagt vom freien Felde, flieht dieser Räuber in den Wald und liegt auf der Lauer, um in jeden unbewachten Zustand des Geistes einzubrechen und ihn durch religiöse Ängste und Vorurteile zu überwältigen.« 25 Daher war Hume der Ansicht, der beste Weg, die negativen Auswirkungen der Religion zu beschränken, sei nicht,
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