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Der totgeglaubte Gott

Der totgeglaubte Gott

Titel: Der totgeglaubte Gott
Autoren: Mark Lilla
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scheint, weil ich die Gesellschaft einiger Reisender vermeide, die weniger ernst, und anderer, die sauertöpfischer sind, als sie sein sollten, oder schließlich, weil ich einem Führer folge, der entweder in Weiß gekleidet ist und mit einer Mitra gekrönt ist, oder nicht ist . 27
    Und doch steht hinter all dem Spott eine kluge Sicht auf die politisch-psychologischen Aspekte von Toleranz. Hobbes war ja davon überzeugt, dass es bei menschlichen Beziehungen letztlich um den Überlebenskampf geht. Religiöse Toleranz war für ihn nicht mehr als eine offene Einladung, seinen Nächsten zu töten. Dahinter steckt die Annahme, dass jeglicher Sieg einer fremden religiösen Tradition eine Bedrohung für das eigene ewige Heil ist. Locke war bei Weitem weniger melodramatisch. Er dachte, dass der Mensch ohne politische Organisation im Naturzustand durchaus in Frieden leben konnte. Für ihn war Krieg weder natürlich noch nötig. Menschen, so Locke, hatten eine gesellschaftliche Organisation entwickelt, nicht weil sie so ungeheure Furcht vor einem gewaltsamen Tod hatten, sondern weil sie auf umsichtige Weise ihr Leben, ihre Freiheit und ihren Besitz schützen wollten – all dies zusammen nennt er in seiner Zweiten Abhandlung über die Regierung (1689) »Eigentum«. Wenn wir uns also auf dieses friedvolle Hängen am Eigentum stützen, überlegte Locke, sollte es möglich sein, die Menschen zu überzeugen: einen Staat mit begrenzter Autorität zu gründen, der die Rechte des Einzelnen respektiert, dessen staatliche Macht auf verschiedene Regierungsorgane aufgeteilt ist, an deren Spitze ein gewähltes repräsentatives Organ steht. In solch einem politischen System würde religiöse Toleranz eher zum sozialen Zusammenhalt beitragen, statt ihn zu sprengen. Dabei machte Locke sich über die Priesterschaft und deren Neigung zum Sektierertum keinerlei Illusionen. Wie Hobbes sah er sie als Bedrohung jeder annehmbaren politischen Ordnung. Doch Locke dachte auch, dass die Begrenzung der staatlichen Autorität zugleich die Gefahr eines religiösen Konflikts verringern würde, da darin schon eine gewisse Unabhängigkeit und ein ebensolches Misstrauen gegenüber willkürlichen Autoritäten zum Ausdruck komme. Wenn die Regierung sozusagen Umzäunungen für die verschiedenen Bereiche menschlichen Zusammenlebens schüfe, wenn sie sich nicht mehr zur Rettung der Seelen oder zur Bevorzugung eines bestimmten Glaubens berufen fühlte, dann wäre sie für geistliche Machtambitionen auch nicht mehr so attraktiv.
    Damit war David Hume vollkommen einverstanden. Er entwickelte diesen Gedankengang sogar noch fort. In einem Essay mit dem Titel Of Superstition and Enthusiasm (1741) schreibt er, dass der Protestantismus ein protomoderner Glaube sei, der wiederholt zur Herausbildung einer liberalen, toleranten Ordnung beigetragen habe. Doch er bezieht sich auch auf die Psyche des Menschen. Epikureer wie Hobbes, meint er, hatten nur bedingt recht, wenn sie die Wurzeln der Religion nur in Unwissenheit und Furcht sahen. Das mochte vielleicht für die abergläubischen Teile der katholischen Kirche gelten, aber nicht für das Protestantentum, das aus Hoffnung und Stolz geboren wurde. Diese starken psychischen Kräfte mochten viele protestantische »Eiferer« zu Abgrenzung und Streit bewegen, doch unter den richtigen Voraussetzungen konnten Hoffnung und Stolz auch der politischen Freiheit zugutekommen. Wenn man die Kirchen davon überzeugen konnte, dass religiöse Toleranz ihnen helfen würde, Seelen zu retten, ohne Einmischung von anderer Seite fürchten zu müssen, dann würden sie, so Hume, in der politischen Freiheit ein höheres Gut sehen als im Zugewinn an politischer Macht. Der »eifernde« Stolz der Protestanten hatte kurzfristig vielleicht die religiösen Konflikte verschärft, auf lange Sicht aber konnte man ihn so ausrichten, dass er gegen jede Art der Parteiung – ob weltlich oder religiös – eintrat, die willkürlich Macht ausübte. Hobbes konnte sich eine Welt, in der kirchliche Gruppierungen für eine freie und friedliche politische Ordnung eintraten, nicht vorstellen. Hume aber meinte, diese Welt sei unter den Augen der Menschen bereits im Entstehen begriffen.
    Und doch konnte Toleranz nicht im Vakuum entstehen. Denker wie Locke und Hume erkannten, dass eine liberale Einstellung zur Religion nicht ohne die Ausbildung liberaler Denkgewohnheiten zu haben war. Dies war auch Hobbes’ Ansicht. Aus eben diesem Grund forderte er ein staatliches
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