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Der Tote vom Maschsee

Der Tote vom Maschsee

Titel: Der Tote vom Maschsee
Autoren: Susanne Mischke
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denken, das dank High-Tech-Kosmetika
und plastischer Chirurgie so straff ist wie ein Bettlaken im Sheraton.
    Â»Was wollt ihr essen? Alles frisch vom Großmarkt.« Ehe sie selbst
eine Wahl treffen können, entscheidet Frau Rodriguez: »Ihr habt sicher Hunger.
Ich mache euch einen Teller mit allem.« Ihr R klingt wie das Knurren eines
Rottweilers.
    Â»Und zwei Kaffee, bitte«, ordert Fernando und fügt an Jule gewandt
hinzu: »Du bist natürlich eingeladen.«
    Â»Nein, das möchte ich nicht.«
    Â»Mama wäre sonst tödlich beleidigt.«
    Â» Exactamente «, tönt es hinter der Theke
hervor wie Donnergrollen.
    Â»Also gut«, ergibt sich Jule.
    Ein Korb mit Brot und eine riesige Platte mit Tapas werden auf einen
der beiden kleinen Stehtische gestellt.
    Â»Lang zu«, sagt Fernando und greift nach einer scharf aussehenden
Wurst und einer in Speck gewickelten Dattel.
    Seine Kollegin erklimmt einen der Hocker, probiert den Käse und
etwas, das wie eine Pastete aussieht.
    Â»Warum legt jemand eine Zunge auf einen Grabstein?«, fragt sie und
spießt dabei eine Olive auf. »Noch dazu auf diesen Grabstein.«
    Â»Keine Ahnung. Ich frag mich, wem man sie abgeschnitten hat. Und:
tot oder lebendig?«
    Â»Es gab wohl keine Leiche ohne Zunge die Tage?«, erkundigt sich Jule
und gestattet sich ein kleines Lächeln.
    Wenn sie lächelt, stellt Fernando fest, strahlt sie tatsächlich
einen gewissen, wenn auch spröden Charme aus. Vielleicht ist sie doch ganz
brauchbar. Zudem scheint seine Mutter sie zu mögen, und die ist wie ein
Seismograph. Leute, die Pedra Rodriguez nicht gefallen, erweisen sich früher
oder später immer als zweifelhafte Charaktere. Besonders Frauen.
    Â»Nicht, dass ich wüsste«, antwortet er.
    Â»Vielleicht ein makabrer Scherz von Medizinstudenten«, meint Jule.
    Â»Die tun so was?«
    Jule zuckt die Achseln. »Es wäre wenigstens eine harmlose
Erklärung.«
    Â»Ob es was mit einem der Opfer von Haarmann zu tun hat?«, sinniert
Fernando, aber dann schüttelt er den Kopf. »Nein. Die müssten ja heute über
hundert sein. Und selbst deren Kinder wären schon über achtzig. Ich glaube, das
können wir vergessen, was meinst du?«
    Â»Die werden kaum Kinder gehabt haben. Das waren alles alleinstehende
junge Herumtreiber. Pupenjungs.«
    Â»Pupen-was?«
    Â»Haarmann hat sie im Verhör Pupenjungs genannt. Das
waren doch nur Pupenjungs . Es gab letztes Jahr ein großartiges
Schauspiel mit diesem Titel.«
    Â»Ah, ja.« Fernando hat nie davon gehört, wie auch, er geht nie ins
Theater. Manchmal leiht er sich ein Video aus. Entweder Action-Streifen oder –
aber das würde er niemals erzählen – Bollywood-Filme. Nur seine Mutter weiß von
diesem geheimen Laster, denn die beiden wohnen zusammen in der geräumigen
Altbauwohnung über dem Laden. Fernando und seine Schwester sind in dieser
Fünf-Zimmer-Wohnung geboren worden und aufgewachsen. Vor zwanzig Jahren ist ihr
Vater verstorben, und Fernandos Schwester ist inzwischen verheiratet und Mutter
eines sechsjährigen Sohnes, sodass nur Fernando und seine Mutter noch über dem
Laden wohnen. Es ist eine ganz normale WG, findet Fernando. Leider sehen die Frauen
das anders. Sie reagieren ausnahmslos so, als hätte er eine peinliche, unappetitliche
Krankheit, sobald sie davon erfahren. Dabei ist Fernando durchaus bereit,
auszuziehen und einen eigenen Hausstand zu gründen, sobald ihm die Richtige
begegnet. Anmutig und sanftmütig sollte sie sein, mit langen, duftenden Haaren
und braunen Mandelaugen mit langen Wimpern …
    Â»Vielleicht stammt die Zunge von einem, der zu viel redete«, mischt
sich Jule Wedekins Stimme in seine Tagträume.
    Â»Du meinst, so ein Mafia-Ding?«
    Â»Einer, der der Polizei zu viel erzählt hat«, spinnt Jule den Faden
weiter. »Haarmann war ein Polizei-Spitzel in Sachen Schwarzhandel, Einbruch und
Hehlerei. Nach seiner Festnahme 1924
hat man der Polizei vorgeworfen, frühen Hinweisen aus der Bevölkerung nicht
nachgegangen zu sein und Haarmann durch seine Beschäftigung als Undercover begünstigt zu haben.«
    Â»Klingt weit hergeholt«, bemerkt Fernando.
    Â»Stimmt«, gibt Jule zu. »Es gibt viele Deutungsmöglichkeiten. Es
kann auch was mit Schwulen zu tun haben …«
    Â»Wieso mit Schwulen?«
    Â»Die Pupenjungs.«
    Â»Ah, ja. Vielleicht kann
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