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Der Tote im Grandhotel

Titel: Der Tote im Grandhotel
Autoren: Eva Bellin
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Wirkung und genoß sie auch.
    Er schloß die Tür und trat etwas näher. Auch seine Züge waren ebenmäßig. Er war tatsächlich schön. Schön auf die harte, männliche Art. Und er war keine Einbildung, keine Manifestation ihrer Angst. Er war real.
    »Meine Güte, was haben die Idioten denn mit Ihnen gemacht? Angebunden! Im Dunkeln! Sie sind doch keine Kriminelle, nicht wahr?«
    Er kam nahe heran. Sie hatte Angst. Trotzdem nahm sie wahr, daß er nach Tabak und gutem Rasierwasser roch. Er ging vor ihr in die Hocke und löste die Fesseln von ihren Füßen. Das Blut schoß schmerzhaft ein. Er berührte ihre Fesseln über den Stiefelettchen, dann ließ er eine Hand ein Stück höhergleiten.
    Sie empfand die Berührung mit einer Intensität, als hätte die Dunkelhaft ihre Sinne geschärft und ihre Nerven bloßgelegt.
    Er erhob sich und machte nun auch ihre Hände los. Den Strick um ihre Hüften löste er nicht. Er zog einen der Holzstühle heran und setzte sich ihr dicht gegenüber, mit gekreuzten Beinen, so elegant, als säße er im Salon und führe ein nettes, gepflegtes Gespräch.
    »Möchten Sie rauchen?«
    Sie krächzte und mußte sich räuspern, bevor die Stimme kam.
    »Ja gern, danke.«
    Er hielt ihr eine Packung hin, wartete, bis sie sich bedient hatte, und gab ihr Feuer mit einem kostbar wirkenden Feuerzeug.
    »Lassen Sie die Asche einfach auf den Boden fallen, hier muß sowieso ausgefegt werden.«
    Er lachte und fuhr fort: »Ich möchte, daß Sie mir einige Fragen beantworten. Danach sind Sie frei, ganz einfach.«
    Er sprach fließend Deutsch, mit östlichem Akzent.
    »Was wollen Sie wissen? Ich weiß ja nichts.«
    »Sie haben diesem Mann im Hotelzimmer etwas übergeben. Wir haben es und wissen, was es war. Sie wußten es natürlich auch. Es ist immer dasselbe. Wir haben auch das Red Mercury, immerhin rund dreihunderttausend Dollar wert, Püppchen. Und du bist also ein Kurier, oder, modern ausgedrückt, eine Kurierin.«
    Er lachte wieder.
    »Wir wollen Namen und Adressen. Auftraggeber. Was du wo übergeben hast und wem natürlich. Das wäre es dann schon. Beinahe.«
    »Ich kenne nur Mister Lederman in New York. Er hat mir die Sachen gegeben. Seine Anschrift weiß ich nicht. Er rief mich an und bestellte mich in ein Lokal. Wir aßen was und tranken Wein. Er sagte mir genau, was ich tun und sagen sollte. Das war alles.«
    »Wie sieht er aus?«
    »Alt. So fünfzig, sechzig Jahre. Weißes Haar, rosig, rundes Gesicht. Schwarze Augen.«
    »Weiter!«
    »Ich glaube, er heißt Nick mit Vornamen. Nick war meist auch das Erkennungswort für den Kunden.«
    »Was bekamst du dafür?«
    »Diesmal dreitausend Dollar. Ich habe mit tausend Dollar angefangen.«
    Er wirkte jetzt gar nicht mehr besonders freundlich. Das Bild des zerplatzten Kopfes erschien vor ihrem inneren Auge. Womit hatte der Magere nur geschossen? Im Kino war ein Loch in der Schläfe und fertig. Ihr Magen schien sich zu heben. Sie preßte die Hand auf den Mund.
    »Wohin hat der Mann dich geschickt?«
    »Zweimal nach Nassau auf den Bahamas. Einmal in ein Hotel auf Moorea. Dann sollte ich nach Warschau, aber das hat sich zerschlagen. Und jetzt Berlin …«
    »Wie genau war das Kennwort?«
    »›Onkel Nick läßt grüßen.‹ Der in Berlin, der das sagte am Telefon, nannte sich Boris. Er sah wie ein Kosak aus.«
    »Aha! Sehr schön. Nun erzähl mir etwas über die Organisation. Du wirst schließlich nicht nur den Onkel Nick kennen.«
    »Auf den Bahamas habe ich mit einem in meinem Hotelzimmer ein Glas Planter's Punch getrunken. Wir waren uns sympathisch. Wie er hieß, weiß ich nicht. Ich sollte ihn Don nennen. Er sah wie ein Europäer aus. Vielleicht ein Litauer oder ein Lette. Oder ein Russe. So östlich, irgendwie. Wir … wir mochten uns irgendwie.«
    Ihr kamen die Tränen. Sie hatten sich einen Nachmittag lang geliebt. Das Reisenecessaire, das sie übergeben hatte, lag unter dem Hotelbett. Die Sonne hatte das Zimmer in Gold getaucht, die Klimaanlage hatte die Illusion von frischem Seewind gezaubert, wie die Ventilatoren neben der Sonnenbank im New Yorker Studio, wo sie ein Abonnement hatte.
    »Du wirst mir nicht erzählen, daß dein Lederman in New York Amerikaner ist. Kann er Russe sein? Einer aus dem Osten?«
    Sie wagte nicht zu fragen, weshalb das eine Rolle spielen sollte. Aber wenn sie es nun recht bedachte, hatten die meisten Männer wirklich gewirkt, als kämen sie aus dem Osten. So wie die Truppe hier. Irgendwie.
    »Glaub' ich nicht. Nein.«
    »Hat
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