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Der Tote im Grandhotel

Titel: Der Tote im Grandhotel
Autoren: Eva Bellin
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Hugendübel nicht verheiratet sein? Das schadete doch sicher keinem Menschen.
    »Ja, bitte?«
    »Hier ist Boris. Es geht um Onkel Nick.«
    »Oh, ja, Boris. Sonntag abend, zehn Uhr«, hatte sie erwidert.
    ›Onkel Nick‹ war das Stichwort. ›Nick‹ war wohl Mister Ledermans Vorname. Es klappte ja wieder hervorragend. Sie würde dem Mann die Uhren geben. Er würde ihr sein Päckchen überreichen, das sie in der mittelafrikanischen Botschaft abliefern sollte, zusammen mit dem Spielzeug im Schrank, die würden alles weiterbefördern, Diplomatengepäck würde überhaupt nicht durchsucht. Kinderleicht. Ein Traumjob – irgendwie.
    Sie ging ins Kino und war rechtzeitig zurück. Duschte noch in aller Ruhe. Sie fühlte sich entspannt und noch gesättigt von Leidenschaft.
    Um zehn hatte es an der Tür ihrer Suite geklopft. Sie hatte geöffnet, gekleidet in ihren neuen Hosenanzug von Armani, hellgraue Seide. Dazu trug sie die passenden Wahnsinnsstiefelettchen. Nicht, daß sie ein Abenteuer direkt gesucht hätte, aber manchmal ergab sich ein Flirt. Und nach ›Spellbound‹ hatte sie geduftet, verführerisch und apart.
    Jetzt roch sie nach Schweiß und Urin. Der Hosenanzug war durchnäßt und verkrumpelt. Die Schenkel juckten, und sie konnte sich nicht einmal kratzen, weil ihre Hände gefesselt waren.
    Sie begann laut zu beten. Von Kind an betete sie: Lieber Gott, und manchmal spürte sie deutlich, wie der da oben sich zu ihr neigte und ihren Bitten lauschte, gütig und allwissend. Aber jetzt hörte er nicht zu.
    Britta dachte, daß sie gern sterben wollte, aber sie wußte zugleich, daß sie überhaupt nicht sterben wollte. Sie wollte leben und glücklich sein, sich über Kleinigkeiten aufregen, sich über ihre Kollegin Lindi ärgern, Serien im Fernsehen anschauen, in die Disco gehen und Liebe machen, alles, was schön und wichtig und das echte Leben war.
    Ich muß schlafen. Ich muß schlafen, um frisch zu sein, wenn es hier losgeht. Aber sie wurde das Schreckensbild nicht los.
    Boris hatte die Uhren in Empfang genommen, ohne jede persönliche Kontaktaufnahme. Sie hatte sich auch nicht darum bemüht. Sein Aussehen schüchterte sie ein. Er wirkte gefährlich und grausam mit diesen schrägen Augen im zu mageren Gesicht. Schwarze Augen, hohe Wangenknochen, schmaler Mund, gelber Teint. Er sah aus wie ein Mongole. Jedenfalls konnte Britta ihn sich gut vorstellen im Sattel, in Dschingis-Khans Regiment, ein Lasso schwingend – oder hatten sie Säbel gehabt?
    Er hatte sein Päckchen aus einer simplen Plastiktüte gezogen und auf den Tisch gelegt, die Uhren in dieselbe Tüte verstaut und war wortlos zur Tür geschritten, die sie entriegelte. Er öffnete die Tür. Zwei Männer drängten ihn zurück ins Zimmer. Sie wußte instinktiv, daß die beiden äußerste Gefahr bedeuteten, und zog sich geräuschlos in den Hintergrund des Zimmers zurück.
    Boris wurde gegen den grünen Sessel gedrängt. Der Magere schloß die Tür, während der Junge Boris bedrängte. Britta hörte ein schmatzendes Geräusch, mehrmals, Boris fiel zu Boden, der Sessel kippte um, und dann sah Britta das Messer in der Hand des Jungen und auch die Waffe in Boris' Hand. Dann sprang der Magere mit einem Satz hinzu, und es gab diesen Knall, dumpf, sehr laut. Auch wenn man vorher nie einen Schuß gehört hatte, wußte man absolut sicher, was das war.
    Britta kniff die Augen zusammen, zu spät. Sie hatte gesehen, wie der Kopf zerplatzte, hatte dieses schreckliche, platschende Geräusch gehört.
    Der Magere sagte dann etwas zum Jungen, in einem harten, fremden Tonfall. Sie kamen auf Britta zu. In diesem Augenblick schien etwas von der vergangenen Lebensenergie des Toten in sie überzugehen, jedenfalls hatte sie deutlich dieses Gefühl. Sie wurde nicht ohnmächtig. Sie sank nicht um. Sie sah ihnen entgegen, auf alles gefaßt, zum Durchhalten entschlossen.
    Aber jetzt hatte alle Kraft sie verlassen. Sie zitterte, zerrte matt an den Fesseln, sie ächzte und wimmerte. Die Dunkelheit schien stofflich zu sein, wie Watte, die ihr das Atmen erschwerte. Sie fürchtete zu ersticken.
    Aus Richtung Tür kam plötzlich ein Geräusch. Es wurde schneidend hell im Keller. Als ihre Augen sich an das Licht gewöhnt hatten, sah sie den Engel in der Tür stehen. Ein Mann. Blond, groß, athletisch gebaut, mit kräftigen Schultern und schönen Schenkeln. Er trug Jeans und ein weißes Hemd, das sich über dem Gürtel bauschte. Er stand breitbeinig da und lächelte. Offenbar kannte er seine
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