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Der Tote am Lido

Der Tote am Lido

Titel: Der Tote am Lido
Autoren: Christian Foersch
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vorwurfsvoll an.
    »Vielleicht lebt er noch«, rief einer der Männer. Aber der Bademeister schüttelte nur den Kopf und winkte ab.
    Lunau zog sein Handy aus der Badehose und wählte den Notruf. Er ging auf den Katamaran zu und sagte zu dem jungen Mann: »Halten Sie die Leute auf Abstand. Wenn Sie sicher sind, dass er tot ist, müssen wir auf die Polizei warten.«
    Der Bademeister schaute missmutig. Am Strand hatte er die Befehlsgewalt, aber eine bessere Idee als Lunaus kam ihm nicht.
    Mirko und Sara hatten sich nicht vom Fleck gerührt. Sie starrten immer noch auf das dunkle Bündel, wie alle anderen. Lunau ärgerte sich über sich selbst, dass er sie nicht sofort weggebracht hatte. Er schob sie sanft vom Wasser weg. »Die anderen Kinder dürfen auch bleiben«, sagte Mirko.
    »Das interessiert uns nicht«, sagte Lunau.
    »Mich schon«, sagte Mirko.
    Sara griff nach der Hand ihres Bruders und zog ihn weiter. »Du hast doch gehört, was Kaspar gesagt hat.«
    »Er hat mir nichts zu sagen, er ist nicht mein Vater.«
    Nach elf Minuten kam eine Polizeistreife, nach eineinhalb Stunden der Leiter der Mordkommission aus Ferrara. Michele Balboni, ein gutmütiger Mann Ende vierzig. Lunau kannte ihn seit April, er mochte ihn, und er glaubte, dass die Sympathie auf Gegenseitigkeit beruhte. Aber jetzt schaute der Kriminaler ihn misstrauisch an:«Was machen Sie hier?«
    »Urlaub.«
    Balboni winkte verächtlich ab, hob mit dem Handrücken das Absperrband und betrachtete die Leiche. Irgendwer hatte sie auf den Rücken gedreht. Bekleidet war sie mit Jeans, einem zerfetzten karierten Hemd, Socken und Halbschuhen. Kein Unterhemd, keine Uhr, keine Schmuckstücke. Keine Nase, kein Mund, keine Augen mehr, nur noch ein käsigroter Matsch, aus dem weißlich die Knochen schimmerten. Ebenso fehlten die Fingerkuppen.
    Die Verletzungen im Gesicht endeten in roten Striemen, die unter den Ansatz des dichten Haares und über Hals und Brust liefen. Die Leiche war männlich. Hautfarbe: schwarz.
    Balboni sah sich um, sah die Schaulustigen, die Frauen, die aufgeregt plauderten, statt ihre Kinder wegzuschaffen. Ein etwa dreißigjähriger Mann in gelbem Sommerjackett, eine Sonnenbrille auf dem kahlgeschorenen Schädel, fotografierte mit seinem Handy.
    »Hätte man ihn nicht zudecken können?«, raunzte Balboni einen Brigadiere an.
    »Wir haben Anweisung, Leichen nicht zu verändern.«
    »Um Spuren nicht zu kontaminieren. Aber der Mann war mindestens drei Tage im Wasser. Mit einem Badetuch können Sie da nichts mehr kontaminieren. Nur ein wenig Taktgefühl beweisen.«
    Als die Kriminaltechniker kamen, verließ Balboni den abgesperrten Bereich. Er trat auf Lunau zu. »Also, raus mit der Sprache. Was haben Sie mit der Geschichte zu tun?«
    »Nichts. Ich war hier am Strand.«
    »Alleine?«
    Lunau runzelte die Stirn. Der Ton gefiel ihm nicht. Balboni wirkte seit ihrer letzten Begegnung stark verändert. Lunau war damals durch Zufall in den Mordfall Vito di Natale verwickelt worden. Der Vater von Sara und Mirko hatte ihm das Po-Delta gezeigt, wenige Stunden später war er ertränkt worden. Als Lunau Nachforschungen anstellte, berief Balboni sich zwar immer wieder auf das Dienstgeheimnis, versorgte ihn aber unter der Hand mit dem Obduktionsbericht und anderen Informationen. Von dem jovialen Gemütsmenschen, den Lunau kennen- und schätzen gelernt hatte, war wenig übrig geblieben. Balbonis Wangen waren eingefallen, der Teint fahl, und um den Mund hatte er einen bitteren Zug. Lunau überwand seine Irritation und erzählte das Wenige, das er wusste. »Und, was meinen Sie?«, fragte er am Ende.
    »Was soll ich meinen? Sie haben die Fingerkuppen gesehen.«
    »Fischfraß war das nicht.«
    »Nein.«
    »Sie glauben doch nicht …«
    »Was ich glaube, ist meine Sache. Kein Stoff für die Presse.«
    »Ich bin hier nicht als Journalist.«
    Wieder winkte Balboni ab. »Wo kann ich Sie erreichen?«
    »Meine Handynummer haben Sie. Ich bin die nächsten vierzehn Tage hier am Meer.«
    Balboni nickte und wandte sich dann dem Staatsanwalt zu, der mit einem Tross an Beamten und Reportern erschien.
4
    Am nächsten Tag fuhr Lunau die fünfzig Kilometer Superstrada nach Ferrara, um auf der Questura seine Aussage zu machen. Die Morgensonne blinkte auf den Reisfeldern, die Reiher standen in majestätisch unbequemer Pose im Wasser.
    Lunau dachte an die Artikel, die er gelesen hatte. Für die Presse war der Fall auf den ersten Blick klar. Ein illegaler Einwanderer, der sich die Haut an
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