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Der Tote am Lido

Der Tote am Lido

Titel: Der Tote am Lido
Autoren: Christian Foersch
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ein, trank es in einem Zug, genoss die kühle Flüssigkeit in seiner Kehle. Er setzte das Glas ab und schaute Silvia an.
    »Was ist?«, lachte sie.
    »Ich habe nachgedacht.«
    »Worüber?«
    »Über uns.«
    Sie erstarrte in der Bewegung, und er wusste, dass er vorsichtig sein musste. »Ich könnte wieder als freier Journalist arbeiten. Dann könnte ich leben, wo ich will.«
    »Du meinst: hier? In Italien?«, fragte sie.
    Er nickte.
    Sie stand auf und legte ihm von hinten die Hände auf die Schultern.
    »Warum wollen wir nicht alles so lassen, wie es jetzt ist?«
    »Jetzt ist Urlaub. In zwei Wochen musst du wieder täglich unterrichten, und ich sitze in Berlin in meiner Redaktion.«
    »Um halb neun beginnt die Konferenz. Ich muss los.«
    Sie drückte ihm einen Kuss auf die Wange und verschwand im Haus.
3
    Lunau lag auf der Strandliege und dachte mit Unbehagen an das Gespräch mit Silvia zurück. Dieser Urlaub verlief anders als geplant. Sie hatten die ersten beiden Septemberwochen gebucht, weil Silvia da gewöhnlich noch frei hatte. Doch dann hatte sie überraschend eine Springerstelle in Venetien bekommen, und dort begann das Schuljahr früher. Deshalb war Lunau an diesem Montag mit den Kindern alleine am Strand.
    Die munter flatternden bunten Sonnenschirme standen dicht an dicht, darunter noch dichter die Strandliegen, auf denen sich deutsche, polnische, russische und italienische Urlauber räkelten, sich mit Sonnenmilch einrieben, unter ihren Zeitungen schliefen und vor allem: redeten. Über Rabatte bei Autohändlern, Hautkrebsrisiko, das fehlende Aroma bei spanischen Erdbeeren,Überbeine, die Erstkommunion, die Kinder, die den ganzen Tag vorm Computer hockten, die Kinder, die den ganzen Tag am Fernseher hockten, die Kinder, die den ganzen Tag nicht still sitzen konnten und in der Wohnung Fußball spielten …
    Lunau hatte den Fehler gemacht, die Zeitung mit an den Strand zu nehmen. Es stimmte nicht, dass die Pressemeldungen ihn nicht tangierten. Es war Wahlkampf in der Provinz Ferrara, und vor sich sah Lunau ein riesiges Porträtfoto von Adelchi Schiavon. »Saubere Lösungen dank sauberer Politik«, stand darüber. Ausgerechnet durch dich, dachte Lunau. Er blätterte den Politik- und den Lokalteil durch, seitenweise gab es Annoncen und Artikel zu diesem »neuen Gesicht« in der Politik. Lunau kannte Adelchi Schiavon. Er war ein zwielichtiger Karrierist. Außerdem der Vater von Amanda. Und jetzt schlug das Unbehagen in Groll um.
    Plötzlich verstummten alle Stimmen um ihn her. Der ganze Strand schien den Atem anzuhalten. Dann setzte eine hektische Betriebsamkeit ein. Liegen quietschten, spitze Schreie stachen, Badeschlappen knarrten.
    Die Kinder, dachte Lunau. Wo sind die Kinder? Er sprang auf, beschirmte seine Augen gegen die grelle Sonne, aber er sah nur einen wachsenden Pulk aus Leibern, die sich an der Wasserkante drängten.
    Wo zum Teufel sind Sara und Mirko? Eben hatten sie noch, mit anderen Kindern, eine Burg gebaut. Von der Burg waren nur noch ein paar Zinnen zu erkennen, der Rest war niedergetrampelt, die Kinder verschwunden.Lunau hatte in wenigen Sekunden das Wasser erreicht. Wo war Saras pinkfarbener Bikini? » Scusi , Verzeihung«, rief er und arbeitete sich durch die Menge. Aller Augen waren in eine Richtung gewandt: auf einen schwarzgebrannten Modellathleten, der auf einem rotlackierten Rettungsboot stand und ruderte. Der Bademeister. Ein Mädchen kam schreiend aus dem Flachwasser gerannt, wurde von seiner Mutter umarmt, ließ sich nicht beruhigen.
    Wo, verdammt noch mal, waren Mirko und Sara? Vom Heck des Katamarans ging ein Tau ab, an dem die Wellen zupften. Am Ende des Taus hing ein langes, schwarzes Bündel.
    Die beiden bananenförmigen Schwimmer des Bootes gruben sich in den Sand, der Bademeister sprang in die Brandung. Lunau ging auf ihn zu, und dann sah er Sara und Mirko, bis zum Knöchel im Wasser. Ein Gefühl der Erleichterung ergriff ihn, bis er erkannte, was die Kinder betrachteten: eine Leiche, durch die die Dünung lief wie der Wind durch eine Flagge am Mast.
    Lunau war in zwei, drei Sprüngen bei den Kindern, er ging in die Knie, umarmte sie und drehte vorsichtig ihre Gesichter zur Seite. »Kommt bitte mit unter den Sonnenschirm.« Sie bewegten sich nicht. »Bitte«, wiederholte Lunau.
    Zwei Männer hatten sich aus dem Pulk gelöst und wateten auf die Leiche zu.
    »Nicht anfassen«, rief Lunau. Die beiden drehten sich nach ihm um, auch der Bademeister, der ganze Strand schaute Lunau
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