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Der Tote am Lido

Der Tote am Lido

Titel: Der Tote am Lido
Autoren: Christian Foersch
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»Meseret?«
    »Der Tote«, sagte das Mädchen.
    Die Kinder blickten auf. Mit einer Geste bat Lunau das Mädchen in die Küche und zog die Tür zu.
    Er hatte den Topf mit Olivenöl auf der Flamme vergessen, und das überhitzte Öl verbreitete einen stechenden Geruch. Lunau nahm es vom Feuer, ließ es abkühlen und warf dann die tranchierten Knoblauchzehen hinein, die sofort zu zischeln anfingen.
    »Wie haben Sie mich gefunden?«
    »Amanda hat mir die Adresse gegeben.«
    Lunau hielt einen Moment inne. Die Gedanken an Amanda verstörten ihn nach wie vor. Unweigerlich fiel ihm zuerst ihr schlanker nackter Körper ein, der grazil und provokant auf dem weißen Flussufer dahin sprintete, in einem irrealen, stahlblauen Mondlicht. Und dann dachte er an ihre Stimme, ihr Gestammel am Telefon. Wie ihre Verzweiflung und ihre Hilflosigkeit in die Routine seines Berliner Büros eingebrochen waren. Ihre Trauer über den Tod ihres Freundes, der noch immer nicht aufgeklärt war. Sie hatte Lunau das erste Mal nach Ferrara gerufen. Nun war er zum zweiten Mal hier, und wieder brach Amanda seine Routine auf. Aber was hatte sie mit dieser nicht identifizierten Leiche zu schaffen?
    »Woher kennen Sie Amanda? Und warum schickt sie Sie zu mir?«
    »Ich bin Meserets Verlobte.«
    »Das sagten Sie bereits. Dann müssen Sie mit der Polizei reden.«
    Sie schüttelte den Kopf. Und Lunau meinte zu begreifen.
    »Sie haben keine Aufenthaltsgenehmigung?«
    »Das weiß ich nicht.«
    »Das wissen Sie nicht?«
    »Michael hat meine Papiere.«
    »Wer ist Michael?«
    Jetzt hing der Knoblauch an und roch verbrannt.
    »Scheiße«, rief Lunau. Braunen Knoblauch mochte Mirko nicht, er würde wieder maulend im Teller herumstochern, und Lunau würde Mühe haben, die Broteinheiten zu berechnen, die Mirko verzehrt hatte. Mirko war Diabetiker, und es war für Lunau eine völlig neue Aufgabe, rund um die Uhr die Kontrolle über die Insulindosierung zu wahren, die der Junge sich spritzen musste. Lunau warf schnell die Muscheln in die Pfanne, löschte sie mit Weißwein ab und setzte Nudelwasser auf.
    »Also noch einmal: Ihre Papiere sind bei Michael, aber Ihr Verlobter hieß Meseret. Und Meseret ist der Tote, der hier angeschwemmt wurde.«
    Sie schluchzte.
    »Und warum kommen Sie damit zu mir? Hätte nicht Amanda zur Polizei gehen können?«
    »Sie sind ein guter Mann.«
    »Wer sagt das?«
    »Amanda.«
    Lunau schaute dem attraktiven Mädchen in die Augen. Sie waren klar, das Weiß wirkte unverbraucht, noch nicht von Drogen zerstört, obwohl sich die Kapillarenjetzt gerötet und die Tränen einen Schleier darüber gezogen hatten. Ich bin kein guter Mann, dachte Lunau, ich bin ein Idiot.
    Da ging die Tür auf, Silvia steckte den Kopf in die Küche, schloss die Lider und sagte: »Mhh, das duftet.« Dann öffnete sie die Augen, und angesichts der Schwarzen im Minirock blieb ihr auch der Mund offen stehen. Hinter Silvia stand ein Fremder mit einer Aktentasche. Joys Blick irrte zwischen Lunau und den beiden Neuankömmlingen hin und her, fiel auf die Ledertasche in der Hand des Mannes. Im Nu hatte sie ihre Stöckelschuhe von den Füßen gezogen, und dann rannte sie los. Sie war mit einem geschmeidigen Manöver zwischen Silvia und dem Mann hindurchgewischt, und trotz des engen Rocks hatte sie schnell zehn, zwanzig Meter Vorsprung. Sie rannte über den Rasen und durch die Buchsbaumhecke, mit der die Parzellen an den Ferienwohnungen abgeteilt waren. Sie passierte das Törchen und verschwand hinter einer Mauer.
    »Nun warten Sie doch, keine Sorge, das sind …!« Lunau hatte seine Badeschlappen abgestreift und rannte barfuß, so schnell er konnte. Er war gut im Training und zweifelte nicht, dass er sie bald einholen würde. Nachdem er die kleine Ferienanlage durchquert und den Fußweg zum Meer erreicht hatte, sah er sie über die Strandpromenade laufen. Eine kilometerlange schnurgerade Straße, gesäumt von breiten Geh- und Radwegen, vereinzelte Touristen mit Luftmatratzen und Strandtaschen, die unterwegs zur Siesta waren. Joy lief Richtung Süden. Er konnte sie nicht verlieren,doch als sie Lunau bemerkte, bog sie ab. Sie versuchte, ihn im Gewirr der schmalen Wege abzuschütteln, die zwischen den Gartenmauern verliefen. Lunau war schon auf Schlagdistanz. Wenn er sie aus den Augen verlor, musste er nur einen Moment stehen bleiben, um ihre nackten Füße auf dem Asphalt platschen zu hören.
    Da änderte sie wieder ihre Taktik. Sie steuerte den Ortskern an, um im Gedränge der
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