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Der Tote am Lido

Der Tote am Lido

Titel: Der Tote am Lido
Autoren: Christian Foersch
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Lunau zu, streckte ihm begeistert die Hand hin und schrie fast: »Die internationale Presse, welch eine Ehre!«
    Lunau gab ihm die Hand und sagte: »Ehrlich gesagt, bin ich wegen Ihrer Tochter gekommen.« Schiavons trockenes Gesicht verrutschte für einen Augenblick, dann hatte er sich wieder im Griff. »Trotzdem würde ich Ihnen gerne einige meiner Freunde vorstellen.« Lunau wurde in den Salon gezogen. Auf einem Podest saß das Streichquartett in Frack und steifer Hemdbrust. Die Musiker spielten ein Andante, verzogen den Mund und zuckten bei jedem Bogenstrich wie Klageweiber. Sie waren mit Franz Schuberts Seele beschäftigt, nicht mit der faschistoiden Ideologie, für die sie Schubert werben ließen. Lunau dachte an seine Eltern,an die Hausmusikabende, bei denen sich international bekannte Solisten um den Steinway-Flügel gesetzt und die Instrumente gestimmt hatten. Er dachte daran, mit welcher Ehrfurcht er anfangs die weihevollen Mienen betrachtet hatte, die komplizierten Muster auf den Partituren, die Feierlichkeit, mit der das Rosshaar auf den Bögen gespannt wurde, und wie er diese Feierlichkeit später verachtet hatte, weil sie für sich eine höhere Wahrheit beanspruchte, egal, wer sie finanzierte. Aber die Töne lösten trotzdem eine Wehmut in ihm aus, die stärker war als seine klugen Gedanken.
    Er wurde einem Bankpräsidenten, einem Stiftungsvorsitzenden und anderen Honoratioren vorgestellt, die ihm Komplimente zu seiner Radiodokumentation über Ferrara machten. Sie mussten im Mai bei der öffentlichen Vorführung gewesen sein, aber er erinnerte sich an niemanden, außer an Gasparotto, den hageren Chef der Deichbehörde, der sich an illegal abgebautem Sand bereichert hatte und nun seinen komfortabel dotierten Ruhestand genoss. Während Lunau sich fragte, warum er nicht die nötige Weltgewandtheit besaß, um solchen Situationen zu entgehen oder ihnen ein komisches Vergnügen abzugewinnen, wurde er einem Mann vorgestellt, der sich vom Rest der Gruppe wohltuend abhob. Er hieß Gennaro Tarantella, hatte ein von markanten Furchen gezeichnetes Gesicht, einen geradlinigen, entschlossenen Blick. Ein Mann, der nicht im Bückling auf der Karriereleiter hochgeschlichen war, da war Lunau sicher. »Dies ist einer der letzten unbestechlichen Journalisten«, sagte Schiavon, »und das isteiner der letzten unbestechlichen Geschäftsleute. Herr Tarantella ist der Gründer von Ex , ein Vorkämpfer gegen die Organisierte Kriminalität.« Sie schüttelten einander die Hand, schauten sich an und mussten beide grinsen. Tarantella gab Lunau eine Visitenkarte: »Sie sind nicht unseretwegen hier, wie ich höre. Aber falls Ihnen mal nach einem Gespräch der Sinn steht, oder falls Sie bei Ihrer heiklen Arbeit Hilfe brauchen …«
    »Ich bin im Urlaub.«
    Tarantella lächelte, als wüsste er über irgendetwas Bescheid, und nickte. »Hat mich gefreut.«
    Lunau betrachtete Amanda, die ebenfalls lächelte. Sie lächelte Tarantella an, dann Lunau. Was fand sie so amüsant an der Situation?
    Amandas Zimmerwände waren tapeziert mit den Zeitungsartikeln, Fotos und Flugblättern, die sich um Marco drehten. Marco war ihr Freund gewesen, bis er bei einer nächtlichen Polizeikontrolle ums Leben kam. Amanda war überzeugt, dass die Polizisten ihn erschlagen hatten, und kämpfte seit vier Jahren um einen gerechten Prozess. Diesem Kampf hatte sie alles andere untergeordnet, auch ihr Publizistik-Studium und journalistische Gehversuche.
    »Wieso hast du dieses Mädchen zu mir geschickt?«, fragte Lunau.
    Amanda bot Lunau einen Stuhl an. »Entschuldige«, sagte sie.
    »Wofür?«
    »Ich wusste nicht, dass du deswegen gekommenbist. Ich hätte nicht gedacht, dass es so schnell geht, ich wusste nicht einmal, dass Joy dich angerufen hat.«
    »Sie hat mich nicht angerufen, sie stand plötzlich bei mir in der Ferienwohnung.«
    »Joy ist ans Meer gefahren?«, rief Amanda alarmiert.
    »Jetzt tu nicht so überrascht! Du hast sie doch geschickt.«
    Amanda sah aus dem Fenster und ging im Zimmer auf und ab. Sie ballte eine Faust und schlug damit kleine Dellen in die Luft, als hätte sie einen Eiscrusher in der Hand.
    »Wenn Michael das erfährt, bringt er sie um.«
    Lunau hielt Amanda am Handgelenk fest. Die zarten, starken Knochen, diese etwas zu langen Gliedmaßen. Er spürte ein Bitzeln unter der Haut seiner Unterarme. Das Mädchen war 21 Jahre alt, halb so alt wie er. Er fürchtete, dass ihm gleich die Hand ausrutschte. Mit undurchschaubaren Absichten. Er
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