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Der Tote am Lido

Der Tote am Lido

Titel: Der Tote am Lido
Autoren: Christian Foersch
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eigenen Kinder, die er nur noch am Wochenende sehen konnte, und er fragte sich, ob er nicht nach einem billigen Ersatz suchte. Jette, seine Frau, hatte Fakten geschaffen. Sie hatte Lunaus Kontakt zu Paul und Stefan beschränkt und die Scheidung eingereicht. Jeden noch so vorsichtigen Versuch der Annäherung blockte sie ab. Sara blickte ihn fragend an. Ein ernster Gedanke huschte durch ihre Mimik und brachte sie auf die Idee, dass Lunau Aufmunterung brauchte. Sie zwinkerte und erhob sich, und er war sicher, dass sie für nichts ein Ersatz war.
6
    Lunau freute sich auf ein ausgefallenes Mittagsmahl mit Silvia. Er hatte Venusmuscheln besorgt, Tapes philippinarum , die Sorte, die nur vierzig Kilometer weiter nördlich, in der Sacca di Goro, der Lagune vor dem Fischerdorf Goro, gezüchtet wurde. Er ließ kaltes Wasser in die Spüle und kippte die Tiere hinein. Mit einer alten Zahnbürste schrubbte er den Sand von den geriffelten, in Braun-, Gelb- und Rotschattierungen marmorierten Schalen. Gleichzeitig setzte er eine Pfanne mit Olivenöl auf. Er sah auf die Uhr: In zwanzig Minuten würde Silvia eintreffen, und bis dahin sollte alles angerichtet sein. Lunau mochte festlich gedeckte Tafeln, blinkendes Besteck auf farbigen Servietten. Als er den Knoblauch schnitt, ging im Wohnzimmer der Krach los. Sara heulte, weil Mirko ihr ein Eselsohr in eine Seite gemacht hatte.
    »Stimmt nicht, du dusselige Kuh. Du hast beim Ausmalen dein Buch immer weiter zu mir rübergeschoben, und dabei ist die Seite umgeknickt.«
    Lunau sah gerade noch, wie Sara Mirkos Buch gegen die Wand warf, und dann war dieser auch schon über den Tisch gesprungen und hatte Sara den Arm auf den Rücken gedreht.
    Lunau wusste, wie reizbar die Kombination aus Sonneneinstrahlung und Hunger machte. Jeden Tag spielten sich die gleichen Szenen ab, und jeden Tag nahm er sich aufs Neue vor, die Kinder nicht einfach vor den Fernseher oder den Nintendo zu setzen.
    Lunau trennte die beiden. »Das war sicher nur ein Versehen. Mirko wollte dein Buch nicht kaputt machen.«
    »Wollte er doch, weil seins nämlich so langweilig ist.«
    »Ist es gar nicht!«
    »Hast du selbst gesagt. Jetzt lügst du, weil es ein Geschenk von Kaspar war und er dich hört.«
    Sara warf mit einem Buntstift nach Mirko und hätte ihn fast im Gesicht getroffen. Lunau griff sich ihre Handgelenke und schaute sie an. »Das darfst du nicht. Du könntest ihm ein Auge ausstechen.«
    »Na und?«
    Sie versuchte loszukommen, und Lunau musste fester zudrücken.
    »Du tust mir weh. Mirko hat recht. So gemein wäre Papa nie zu uns gewesen.«
    Lunau machte sich ein ums andere Mal klar, dass die Kinder mit dem Verlust des Vaters kämpften. Sie schwankten zwischen Anlehnungsbedürfnis und plötzlicher Aggressivität, gerade ihm gegenüber. Er brauchte Geduld und Phantasie.
    »Will mir einer von euch beim Kochen helfen?«
    Keine Antwort.
    »Tischdecken?«
    Mirko traf Saras Hinterkopf mit einem Klaps, den sie nicht abwehren konnte, weil Lunau noch immer ihre Hände festhielt.
    »Hast du das gesehen? Und du hilfst ihm auch noch!«, schrie Sara.
    Lunau kapitulierte. Er holte den Tresorschlüssel aus Silvias Nachtkästchen, ging zurück ins Wohnzimmer und schloss die kleine Stahlluke auf, die hinter dem Fernseher in die Wand eingemauert war. Er nahm die beiden Nintendos und legte sie aufs Sofa.
    »Setzt euch hier hin. Ihr dürft so lange spielen, bis das Essen fertig ist.«
    »Wow«, rief Mirko. Ein pädagogisches Desaster.
    »Aber das ist heute eine Ausnahme.«
    »Ist klar«, sagte Mirko zerstreut, während sein Gerät munter losdudelte.
    »Und stellt bitte den Ton leise.«
    Als Lunau in die Küche zurückgehen wollte, zeichnete sich die Silhouette einer Person im Fliegenvorhang ab. Ein schwarzes Mädchen stand hinter den bunten Plastikstreifen, die es nicht zu berühren wagte.
    »Können wir Ihnen helfen?«, fragte Lunau. Wie war die Frau in die geschlossene Ferienanlage gekommen?
    »Sind Sie Kaspar Lunau?«, fragte sie.
    »Ja. Und Sie?«
    Sie schaute sich hektisch draußen um.
    »Wollen Sie einen Moment hereinkommen?«
    Sie trat durch den Vorhang und sagte: »Danke.«
    Lunau schätzte sie auf etwa zwanzig. Sie hatte ein strahlendes Kindergesicht über einem kurvenreichen weiblichen Körper. Nicht einmal die billige Aufmachung mit hochhackigen Schuhen, einem vulgär knappen Kleid und greller Schminke konnten ihre natürliche Schönheit stören.
    »Ich bin Meserets Verlobte«, sagte sie.
    Lunau schaute sie fragend an.
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