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Der Tote am Hindenburgdamm: Ein Sylt-Krimi (German Edition)

Der Tote am Hindenburgdamm: Ein Sylt-Krimi (German Edition)

Titel: Der Tote am Hindenburgdamm: Ein Sylt-Krimi (German Edition)
Autoren: Kari Köster-Lösche
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aufgemacht, wie sie wusste. Gegen Mittag war sie an seinem Haus vorbeigekommen, da hatte er seine Netze vorbereitet und die Reusen zusammengelegt.
    »Willst du Freda wirklich allein lassen?«, hatte sie ihn gefragt.
    »Du hast gesagt, es kann noch eine Woche dauern, bis das Kind kommt«, hatte Jens in seiner mürrischen Art zurückgegeben. »Soll ich eine Woche auf den Fang verzichten? Und was, wenn es zwei Wochen werden?«
    Es konnte aber auch schon in der nächsten Nacht losgehen. Gerade in den Sturmnächten wurden viele Kinder geboren. Wenn sich in der Natur etwas veränderte, setzten die Wehen oft früher ein, wenn das Wetter umschlug, der Mond wechselte oder eine Gefahr näher kam. Freda würde Angst vor dem Alleinsein haben, vor allem wenn Ebbo den Vater begleitet hatte. Ob Geesche zu ihr gehen sollte, um nach ihr zu sehen?
    Nachdenklich ging sie zum Fenster der Küche und blickte hinaus. Die Nacht war schwarz, kein Stern zu sehen, der Mond lag hinter den Wolken verborgen. Sie jagten vermutlich über den Himmel, aber so dicht waren sie, dass sie kein Licht hindurch ließen. So war der Sturm nur zu hören, nicht zu sehen.
    Wo mochte Andrees sein? Hoffentlich war er nicht von seinem Vater gebeten worden, mit hinauszufahren. Andrees ließ sich gerne bitten, das wusste Geesche. Eigentlich war er immer noch Fischer mit Leib und Seele, hatte nie etwas anderes sein wollen. Dass er nun dabei half, die Trasse zu bauen, auf der irgendwann einmal eine Inselbahn fahren sollte, war sein größtes Unglück. Doch ein Fischerboot ernährte nur eine Familie, und selbst das nur mit Müh und Not.
    »Soll ich warten, bis mein Vater zu alt und zu schwach ist, um die Netze zu heben? Warten, dass er mir sein Boot überlässt?«, hatte er sie oft gefragt.
    Dass dieser Tag kommen würde, war zwar eine kleine Hoffnung, aber keine wirkliche Perspektive. Und dem Vater ein Ende des Fischfangs zu wünschen, das war sogar eine Sünde. Nein, Andrees brauchte dringend ein eigenes Boot, um als Fischer sein Auskommen zu haben. Die Arbeit an der Trasseder Inselbahn machte einen anderen Menschen aus ihm. Jeden Tag ein bisschen mehr. Morgen würde er wieder ein wenig unglücklicher sein als gestern und übermorgen erneut davon reden, dass das Leben keinen Sinn hatte, wenn er nicht täglich auf das Meer hinauskonnte. Und erst recht nicht, wenn er sein Geld mit etwas so Sinnlosem verdiente wie der Idee, dass irgendwann eine Eisenbahn über die Insel fahren und Sommerfrischler vom Hafen Munkmarsch nach Westerland bringen sollte. Niemand glaubte an die ehrgeizigen Pläne von Dr. Julius Pollacsek, der aus Westerland ein blühendes Seebad machen wollte. So hatte der selbst ernannte Kurdirektor auch nur wenig Unterstützung auf Sylt gefunden. Kaum jemand war bereit, ihm dabei zu helfen, die Voraussetzungen für die Inselbahn zu schaffen, die Dr. Pollacsek sogar selbst finanzieren wollte. Lediglich einen Haufen junger Männer gab es, die froh über jede Beschäftigung waren. Sogar einige Strandräuber waren darunter, die jede Gelegenheit nutzten, um zu Geld zu kommen.
    »Was ist das für eine Arbeit!«, klagte Andrees oft. »Ich tu was Sinnloses, nur um nicht zu verhungern. In zwanzig Jahren wird niemand mehr wissen, warum etwas so Überflüssiges wie diese Eisenbahntrasse gebaut wurde. Eine Inselbahn? Sinnlos! Alles sinnlos!«
    Jedes Mal, wenn er das sagte, hatte Geesche Angst, dass er bald auch keinen Sinn mehr darin sehen könnte, sich eine gemeinsame Zukunft mit ihr auszumalen. Manchmal fürchtete sie sogar, dass er in seiner eigenen Zukunft keinen Sinn mehr sah. Was sollte geschehen, wenn er den Sinn des Lebens aus den Augen verlor?
    Sie riss sich vom Fenster los, verließ die Küche und trat auf den Flur, der das Haus in Wohn- und Wirtschaftsteil gliederte, wie es in friesischen Häusern üblich war. Aber Geesche hatte diese Aufteilung verändert. Aus der Kammer des Wirtschaftsteils hatte sie den Raum gemacht, in dem die Frauen gebären konnten, die bei ihr, der einzigen Hebamme der Insel, Hilfesuchten; aus der Dreschtenne sollte demnächst ein Raum werden, der an Sommerfrischler zu vermieten war. Immer mehr kamen nach Sylt, manche blieben sogar den ganzen Sommer. Und wenn die Inselbahn zwischen dem Fährhafen Munkmarsch und Westerland wirklich einmal fahren sollte, würden es noch mehr werden. Vielleicht konnte sie dann auch den Stall umbauen, der an der Westseite die ganze Tiefe des Hauses einnahm. Sommerfrischler brachten Geld auf die Insel, und
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