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Der Torwächter Bd. 1 - Der Torwächter

Der Torwächter Bd. 1 - Der Torwächter

Titel: Der Torwächter Bd. 1 - Der Torwächter
Autoren: Markus Stromiedel
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das Mädchen eine Drahtschlaufe, die sie in ihrer Hosentasche bei sich getragen hatte, durch einen Spalt zwischen den Türflügeln. Sie führteden Draht über den Riegel, ein Ruck, der Riegel sprang zurück und die Tür schwang auf. »Bitte sehr!« Ira war stolz, zu Recht, wie Simon fand, so etwas hätte er nicht gekonnt.
    Leise betraten sie das Haus. Es war kitschig eingerichtet, mit goldverzierten Möbeln und pausbäckigen Engelchen an den Wänden. Niemand war zu hören oder zu sehen. Vorsichtig schlichen sie die Treppe hinab. Jeden Moment rechnete Simon damit, dass jemand auftauchen und sie entdecken würde, doch sie blieben unbemerkt, selbst als er versehentlich eine Metallskulptur umstieß. An der Haustür war endgültig klar, dass die Bewohner unterwegs waren: Die Tür war von außen abgeschlossen – hier konnte Iras Drahtschlaufe nichts ausrichten. Ira wollte schon aus einem Fenster klettern, als Simon neben der Tür einen Schlüsselkasten entdeckte. »Ira, warte!« Er durchsuchte den Kasten und fand einen Ersatzschlüssel, mit dem er die Haustür aufschloss. Ira linste durch den Türspalt. Dann huschte sie ohne ein Wort aus dem Haus. Simon folgte ihr.
    Die Tür ging direkt auf die Straße hinaus. Es war die gleiche Gasse, begriff Simon, in die Ira gestürzt wäre, hätten er und das Wellblechdach sie nicht gerettet. Der schmale Steig war verlassen, kein Mensch war zu sehen, niemand interessierte sich für sie. Sie hatten es geschafft! Auch den Dicken hatten sie abgehängt, stellte Ira zufrieden fest. Simon hatte ihn fast schon vergessen.
    Gemeinsam gingen sie die Gasse hinunter. Es war für Simon selbstverständlich, dass er Ira begleitete, mit ihrem verletzten Bein würde er sie nicht alleine lassen. Außerdem war er neugierig, mehr über sie zu erfahren.
    »Lebst du hier im Dorf?«
    Simon ärgerte sich, kaum dass er die Frage gestellt hatte. Es war klar, dass sie hier wohnte, er brachte sie ja gerade nach Hause.
    Ira nickte nur stumm.
    »Schon immer? Oder bist du hierhergezogen, so wie ich?«
    Ira schüttelte den Kopf. »Ich leb hier schon immer.« Sie verstummte wieder.
    »Und die Schule, ist die auch hier?«
    Ira schüttelte erneut den Kopf und schwieg.
    Simon versuchte noch ein paarmal, ein Gespräch mit ihr in Gang zu bringen, doch sie blieb wortkarg. Es dauerte, bis Simon endlich begriff, warum: Sie hatte starke Schmerzen. Die Prellungen und Schnittwunden an ihrem Bein waren schlimmer, als sie zugeben wollte. Er fragte nicht weiter und ging schweigend mit ihr durch die Straßen. Irgendwann packte sie ohne ein Wort seine Schulter und stützte sich auf ihn.
    Sie erreichten Iras Zuhause nach einem längeren Fußmarsch, das Haus lag am anderen Ende des Ortes. Das Viertel, in dem sie wohnte, war ärmlich, und das große Haus, auf das sie zugingen, sah alt und baufällig aus. Ira öffnete die Tür, trat ein und drehte sich auf der Türschwelle um. Sie schien verlegen zu sein. »Danke. Ich komm jetzt schon klar.«
    Simon bezweifelte das. »Ist denn wer da? Jemand muss nach deinem Bein sehen.«
    Ira nickte. »Meine Oma.«
    »Ist sie Ärztin?«
    »Nein, aber sie kennt sich mit so etwas aus.«
    Simon merkte, dass Ira ihn nicht hineinlassen wollte. Doch er konnte sie nicht überzeugen, sich von ihm helfen zu lassen.
    Plötzlich sah er hinter ihr eine Bewegung. Ein faltiges Gesicht starrte ihn aus der Dunkelheit des Hausflurs an: Es war eine alte Frau, schwarz gekleidet und mit streng zurückgebundenem weißen Haar. Sie kam näher, den Blick unverwandt auf ihn gerichtet. Simon sah, wie alle Farbe aus ihrem Gesicht wich. »Salvatore!« Sie fiel vor ihm auf die Knie und nahm seine Hand. »Salvatore … Du bist gekommen …« Sie begann zu weinen.
    Simon begriff überhaupt nichts. Vergeblich versuchte er, seine Hand zu befreien. Auch Ira starrte die alte Frau, offenbar ihre Oma, überrascht an.
    Die Alte schaute auf, die Augen voller Tränen und Traurigkeit. Zärtlich strich sie Simon über die Wange. Danach ergriff die Alte auch seine andere Hand und hielt sie fest, so als wolle sie ihn nie wieder loslassen. Simon war nicht darauf vorbereitet, was nun geschah: Seine Finger begannen in den Händen der Alten zu glühen. Hitzewellen durchliefen ihn, von seinen Fingerspitzen in die Hand hinein und weiter die Arme hinauf bis in seinen Oberkörper. Und im gleichen Augenblick spürte er in sich den Schmerz der Alten, als wäre es sein eigener. Das Gefühl überwältigte ihn.
    »Es ist zu spät, Salvatore«, stammelte
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