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Der Todschlaeger

Der Todschlaeger

Titel: Der Todschlaeger
Autoren: Charlo von der Birke
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ein Hemd auf dem schmalen Brett des
    Waschtischs ausgebreitet, das infolge der
    Abnutzung durch das Wasser zerfressen und
    ausgebleicht war. Sie rieb das Hemd mit Seife
    ein, wendete es, rieb es von der anderen Seite
    ein. Bevor sie antwortete, ergriff sie ihren
    Wäschebleuel und fing an drauflos zu
    schlagen; sie schrie ihre Sätze heraus und
    unterstrich sie mit derben und taktmäßigen
    Schlägen.
    »Ja, ja, Wäscherin ... Mit zehn Jahren ... Zwölf
    Jahre ist das her ... Wir gingen zum Fluß ...
    Das roch besser als hier ... Das hätten Sie
    sehen sollen, da war eine Stelle unter den
    Bäumen ... mit klarem fließenden Wasser ... In
    Plassans, wissen Sie ... Sie kennen Plassans
    nicht? – Bei Marseille?«
    »Das ist ja toll!« rief Frau Boche aus, ganz
    verwundert über die Derbheit der
    Bleuelschläge. »So ein Prachtweib! Die würde
    einem ja mit ihren kleinen Mädchenarmen
    Eisen platt klopfen!«
    Die Unterhaltung wurde sehr laut fortgeführt.
    Die Concierge war manchmal gezwungen, sich
    herüberzubeugen, weil sie nichts verstand. Die
    ganze Weißwäsche wurde geschlagen, und
    zwar tüchtig! Gervaise tauchte sie erneut in
    den Zuber und nahm sie Stück für Stück
    wieder heraus, um sie ein zweites Mal mit
    Seife einzureiben und zu bürsten. Mit der
    einen Hand hielt sie das Stück auf dem
    Waschtisch fest, und mit der anderen, die die
    kurze Wurzelbürste hielt, brachte sie
    schmutzigen Schaum aus der Wäsche heraus,
    der in langen Geiferfäden herabfiel.
    Bei dem schwachen Geräusch der Bürste
    kamen sie alsdann einander näher und
    plauderten vertraulicherweise.
    »Nein, wir sind nicht verheiratet«, begann
    Gervaise wieder. »Ich mache kein Hehl
    daraus. Lantier ist nicht so nett, daß man
    wünschen könnte, seine Frau zu sein. Wenn
    die Kinder nicht da wären, na, ich sage Ihnen!
    – Ich war vierzehn Jahre alt und er achtzehn,
    als wir unser erstes kriegten. Das andere ist
    vier Jahre später gekommen ... Das ist passiert,
    wie so was immer passiert. Sie wissen ja. Ich
    war nicht glücklich zu Hause. Wegen eines Ja,
    wegen eines Nein versetzte mir Vater
    Macquart Fußtritte ins Kreuz. Du meine Güte,
    da sucht man sich eben außer Hause sein
    Vergnügen ... Man hätte uns ja verheiratet,
    aber ich weiß nicht mehr, unsere Eltern haben
    es nicht gewollt.« Sie schüttelte ihre Hände ab,
    die sich unter dem weißen Schaum röteten.
    »Das Wasser ist ganz schön hart in Paris«,
    sagte sie.
    Frau Boche wusch nur noch lässig. Sie hielt
    inne und zog das Einseifen in die Länge, um
    dableiben zu können und diese Geschichte
    kennenzulernen, die ihre Neugier seit vierzehn
    Tagen auf die Folter spannte. Ihr Mund stand
    halb offen in ihrem groben Gesicht, und ihre
    hervorstehenden Augen glänzten. Mit der
    Genugtuung, das schon vorausgesehen zu
    haben, dachte sie: Es stimmt, die Kleine redet
    zuviel. Es hat Krach gegeben.
    Laut sagte sie dann:
    »Er ist also nicht nett?«
    »Reden Sie mir nicht davon!« antwortete
    Gervaise. »Da unten war er sehr gut zu mir,
    aber seit wir in Paris sind, kann ich mit ihm
    nicht mehr auskommen ... Sie müssen wissen,
    daß seine Mutter voriges Jahr gestorben ist
    und ihm etwas hinterlassen hat, ungefähr
    siebzehnhundert Francs. Er wollte nach Paris
    gehen. Da Vater Macquart mir immer noch
    mir nichts, dir nichts Ohrfeigen langte, habe
    ich dann eingewilligt, mit ihm fortzuziehen.
    Wir haben die Reise mit den beiden Kindern
    gemacht. Er sollte mich als Wäscherin
    unterbringen und in seinem Beruf als
    Hutmacher arbeiten. Wir hätten sehr glücklich
    sein können – Aber, sehen Sie, Lantier ist
    ehrgeizig, verschwenderisch, ein Mensch, der
    nur an sein Vergnügen denkt. Er taugt eben
    nicht viel ... Wir sind also im Hotel
    Montmartre in der Rue Montmartre
    abgestiegen. Und dann kamen Diners, Wagen,
    Theater, eine Uhr für ihn, ein seidenes Kleid
    für mich; denn er hat ein gutes Herz, wenn er
    Geld hat. Sie verstehen, daß wir bei dem Drum
    und Dran nach zwei Monaten pleite waren. Zu
    diesem Zeitpunkt sind wir ins Hotel Boncœur
    gezogen, und das verfluchte Leben hat
    angefangen ...« Sie brach ab, die Kehle war ihr
    mit einem Male wie zugeschnürt, und sie
    unterdrückte ihre Tränen. Sie war mit dem
    Bürsten ihrer Wäsche fertig. »Ich muß mein
    heißes Wasser holen«, murmelte sie. Aber
    Frau Boche, die über diese Unterbrechung der
    vertraulichen Mitteilungen sehr verdrossen
    war, rief den Waschhausgehilfen, der gerade
    vorbeikam.
    »Mein lieber Charles, seien Sie
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