Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Todschlaeger

Der Todschlaeger

Titel: Der Todschlaeger
Autoren: Charlo von der Birke
Vom Netzwerk:
seiner hellen
    Stimme:
    »Papa ist weg.«
    »Er ist das Mittagessen einkaufen gegangen.
    Hat er euch gesagt, daß ihr mich hier abholen
    sollt?«
    Claude schaute seinen Bruder an und zögerte,
    da er nichts mehr wußte. Dann erwiderte er in
    einem Zuge:
    »Papa ist weg ... Er ist aus dem Bett
    gesprungen, er hat seine ganzen Sachen in den
    Koffer gepackt, er hat den Koffer
    runtergebracht zu einem Wagen ... Er ist weg.«
    Gervaise, die dahockte, erhob sich langsam
    wieder mit weißem Gesicht und führte die
    Hände an ihre Wangen und Schläfen, als höre
    sie, wie ihr der Kopf auseinanderkrache. Und
    sie konnte nur ein Wort finden, sie wiederholte
    es unzählige Male in demselben Ton:
    »Oh, mein Gott! – Oh, mein Gott! – Oh, mein
    Gott!«
    Inzwischen fragte nun Frau Boche das Kind
    aus und war ganz Feuer und Flamme, bei
    dieser Geschichte dabeizusein.
    »Sieh mal, mein Kleiner, du mußt das alles
    erzählen ... Er hat also die Tür abgeschlossen
    und hat euch gesagt, daß ihr den Schlüssel
    herbringen sollt, nicht wahr?« Und die Stimme
    senkend, fragte sie an Claudes Ohr: »War denn
    eine Dame im Wagen?«
    Das Kind geriet erneut in Verwirrung. Es
    begann seine Geschichte mit triumphierender
    Miene von vorn:
    »Er ist aus dem Bett gesprungen, er hat alle
    Sachen in den Koffer gepackt, er ist weg ...«
    Als Frau Boche ihn nun losließ, zog er seinen
    Bruder vor den Wasserhahn. Sie hatten beide
    ihren Spaß daran, das Wasser laufen zu lassen.
    Gervaise konnte nicht weinen. Sie war am
    Ersticken, hatte das Kreuz an ihren Zuber
    gelehnt, das Gesicht noch immer in den
    Händen. Kurze Schauer schüttelten sie. Dann
    und wann strich ein langer Seufzer vorüber,
    während sie sich die Fäuste noch fester auf die
    Augen preßte, um gleichsam im schwarzen
    Nichts ihrer Verlassenheit zu versinken. Ein
    finsteres Loch war das, auf dessen Grund sie
    zu fallen schien.
    »Lassen Sie man gut sein, meine Kleine, zum
    Teufel noch mal!« murmelte Frau Boche.
    »Wenn Sie wüßten! Wenn Sie wüßten!« sagte
    sie schließlich ganz leise. »Heute morgen hat
    er mich losgeschickt, ich mußte meinen Schal
    und meine Hemden zum Leihhaus bringen,
    damit er diesen Wagen bezahlen kann ...« Und
    sie weinte. Die Erinnerung an ihren Gang zum
    Leihhaus hatte ihr durch die deutliche
    Vergegenwärtigung eines Vorfalls vom
    Morgen das Schluchzen entrissen, das ihr in
    der Kehle würgte. Jener Gang war eine
    Erbärmlichkeit, der heftige Schmerz in ihrer
    Verzweiflung. Die Tränen flossen über ihr
    Kinn, das ihre Hände schön naß gemacht
    hatten, ohne daß sie auch nur daran dachte, ihr
    Taschentuch zu nehmen.
    »Seien Sie vernünftig, verhalten Sie sich still,
    man sieht zu Ihnen her«, sagte Frau Boche
    immer wieder, die sich um sie bemühte. »Das
    ist doch gar nicht möglich, sich eines Mannes
    wegen soviel Kummer zu machen! – Sie
    liehen ihn also immer noch, was, mein armer
    Liebling? Eben waren Sie ja ganz schön
    aufgebracht über ihn. Und jetzt, da weinen Sie
    über ihn, daß Ihnen fast das Herz zerbricht ...
    Mein Gott, was sind wir dumm!« Dann zeigte
    sie sich mütterlich: »Eine hübsche kleine Frau
    wie Sie! Ist das denn die Möglichkeit! – Jetzt
    kann man Ihnen ja alles erzählen, nicht wahr?
    Na, Sie erinnern sich, als ich unter Ihrem
    Fenster vorbeigegangen bin, ahnte ich ...
    Stellen Sie sich vor, heute nacht, als Adèle
    nach Hause gekommen ist, habe ich
    zusammen mit ihrem Schritt den Schritt eines
    Mannes gehört. Da hab ich Bescheid wissen
    wollen, ich habe auf die Treppe geschaut. Der
    Kerl war schon im zweiten Stock, aber ich
    habe doch den Überzieher von Herrn Lantier
    erkannt. Mein Mann, der heute morgen
    aufpaßte, hat gesehen, wie er seelenruhig
    wieder runterkam ... Das war mit Adèle,
    verstehen Sie. Virginie hat jetzt einen Herrn,
    zu dem sie zweimal in der Woche hingeht. Nur
    ist das trotzdem nicht gerade anständig, denn
    sie haben bloß ein Zimmer und einen Alkoven,
    und ich weiß nicht recht, wo Virginie hat
    schlafen können.« Sie hielt einen Augenblick
    inne, wandte sich um und fuhr mit ihrer
    groben Stimme gedämpft fort: »Sie lacht
    darüber, daß sie Sie weinen sieht, diese
    herzlose Person da drüben. Ich möchte meine
    Hand ins Feuer legen, daß ihre Wäsche nur ein
    Vorwand ist ... Sie hat die anderen beiden
    wegspediert und ist hierhergekommen, um
    ihnen zu erzählen, was für ein Gesicht Sie
    machen würden.«
    Gervaise nahm ihre Hände herunter, schaute
    hin. Als sie Virginie vor sich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher