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Der Tod wohnt nebenan Kriminalroman

Titel: Der Tod wohnt nebenan Kriminalroman
Autoren: Francisco Gonz lez Ledesma
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alles.
    Auch im oberen Stockwerk waren die Lichter angegangen. Am Geländer waren zwei Frauengestalten zu sehen, die eine stützte die andere. Die größere war Mabel, die gebeugte Madame Ruth.
    Und Mabel sagte:
    »Schau.«
    Anfangs sah die Kranke überhaupt nichts. Das Vestibül kam ihr vor wie immer. Natürlich hatte sie es ein Jahr lang nicht gesehen, weil sie ihr Zimmer nicht verließ. Zu einer Zeit, die ihr jetzt sehr weit weg erschien, als wäre es eine andere Epoche, war sie diese Treppe hinuntergegangen, um die Messe zu besuchen und ewige Erlösung zu finden.
    Das Licht, das Mabel angemacht hatte, erlaubte ihr zu sehen, dass alles beim Alten war. Oder etwa nicht. Die Möbel, das Dekor war wie immer, so wie es einer Grande Dame entspricht. Aber da war auch ein unbekanntes Mädchen, eine halbnackte Frau.
    Mabel sagte wieder:
    »Schau.«
    »Ich sehe es. Und wer ist das? Was macht diese Frau hier?«
    »In deinen Häusern gab es immer halbnackte Mädchen, Ruth. Ich weiß nicht, warum du dich jetzt so wunderst.«
    »Aber die kenne ich nicht. Wer ist sie?«
    »Eine von denen, die es dir ermöglichen, eine Dame zu sein.«
    Im Schlafzimmer am Ende des Flurs hörte ein aufmerksamer David Miralles Geräusche im Vestibül. Nichts Ungewöhnliches, jemand sprach, und es schien Mabel zu sein.
    Deshalb ging er nicht aus dem Zimmer, sondern stand nur auf und ging zur Tür. Aus dem Augenwinkel sah er, dass Eva im anderen Bett tief eingeschlafen war, als sei sie auf den Grund ihrer Jugend gesunken. Er wollte sie nicht unnötig wecken, aber er war wachsam. Die Pistole in seiner Hand wurde warm und fühlte sich an wie lebendige Haut.
    Das Mädchen, das im Vestibül stehen geblieben war, reagierte schließlich mit einem Gähnen. Sie sagte leise:
    »Ich wollte auf die Toilette.«
    Ruth stützte sich auf dem Geländer ab, denn ihr war schwindelig.
    »Heißt das, sie schläft hier? Wer ist das?«, stammelte sie und sah Mabel an. »Ich verstehe das alles nicht.«
    »Nicht nur sie, es ist noch eine. Zwei Frauen schlafen hier.«
    »Aber warum? Wozu?«
    »Damit du weiterhin eine Dame sein kannst.«
    Gebeugt stöhnte die Kranke:
    »Ich verstehe überhaupt nichts. Sag mir, was das heißen soll, du Flittchen.«
    »Ich habe dich eine Dame genannt, ich verdiene es, dass du mich ebenso behandelst.«
    Sie fügte hinzu:
    »Eine Dame zu sein, hatte schon immer seinen Preis.«
    Unten im Vestibül herrschte wieder Stille. Die Wände, die Ruth nicht mehr sehen konnte, die Lichter, die sie schon fast vergessen hatte, das Geräusch einer zuschnappenden Tür – ›das ist die alte Toilette‹, dachte Ruth und in der reglosen Luft das Rin-rin-rin-rin einer Unbekannten, eines urinierenden Fohlens. Früher waren die Mädchen rücksichtsvoller und versuchten keinen Lärm zu machen.
    »Ich sehe, du kannst dich kaum auf den Beinen halten«, sagt Mabel leise. »Am besten, wir gehen ins Zimmer zurück.«
    Es schien nur so, als wolle Ruth gleich wieder im Bett versinken, aber sie hielt sich auf den Beinen. Ihr war selber nicht klar, woher sie die Kraft nahm. Herausfordernd hob sie das Kinn. »Glaub nicht, dass ich schon tot bin, du Hure.« Da ist sogar wieder der ruhige, graue Blick, den Mabels Augen einst hatten.
    »Sag mir, wer sie ist und was sie in meinem Haus zu suchen hat. Wer hat ihr das erlaubt? Wenn sie nur eine Freundin von dir ist, dann wirfst du sie sofort hinaus.«
    »Sie ist weder meine Freundin, noch kann ich sie hinauswerfen. Sie hat ein Recht, hier zu sein.«
    »Warum?«
    »Weil sie dafür zahlt. Sie und die andere. Es sind zwei junge Studentinnen, die Miete für ihr Zimmer zahlen. Du in deinem Damenbett hattest keine Ahnung, aber das untere Stockwerk ist eine Art Pension. Jetzt schau mich nicht so an. Die Mädchen bringen keinen Männerbesuch mit. Sie schlafen nur hier.«
    »Das heißt, du hast ihnen zwei Zimmer vermietet …«
    »Ja.«
    »Aber warum?«
    »Ganz einfach. Du brauchst Geld. Man braucht Geld, wenn man eine Dame sein will.«
    Ruth richtete sich noch weiter auf, immer herausfordernder. Kaum zu glauben, welch innere Kraft sie hatte. Mit verzerrtem Gesicht ging sie zum Fenster, lehnte ihren Hintern gegen das Fensterbrett. Den Hintern, der nicht mehr vorhanden war, aber einst zumindest ein kleines Stück der Welt beherrschte.
    »Du machst dich über mich lustig, Mabel. Man hat dir dieses Haus und Geld für uns beide hinterlassen.«
    »Das Haus schon.«
    »Und Geld?«
    »Geld nicht.«
    »Red keinen Unsinn. Der Marqués war
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