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Der Tod wirft lange Schatten

Der Tod wirft lange Schatten

Titel: Der Tod wirft lange Schatten
Autoren: Veit Heinichen
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dieselbe ist. Sie hängen an der Erinnerung.«
    Mia sah das weiße Schloß von Miramare in starkem Scheinwerferlicht strahlen. Sie überlegte, wie sie den Fahrer bitten konnte, die Klappe zu halten, ohne unhöflich zu sein, aber ihr fielen die richtigen Worte nicht ein.
    »Ich wohne mitten im Zentrum.« Er räusperte sich. »Man kann kaum schlafen bei der Hitze. In Servola wird es nicht so schlimm sein. Dort auf dem Hügel lebt es sich besser, solange der Kamin des Stahlwerks keine giftigen Substanzen ausspuckt.«
    Am Lungomare stockte der Verkehr in Richtung Zentrum. Die letzten Badegäste waren auf dem Heimweg. Die nächsten zwanzig Minuten ging es nur im Schrittempo voran.
    »Er hat sich dann ein paar Jahre später erhängt«, sagte der Taxifahrer.
    »Wer?« Mia schrak aus ihren Gedanken auf.
    »Na, mein Vater. Ich habe es doch gerade erzählt.« Er sprach in einem Tonfall, der ihr nicht behagte. Wurde der Mann etwa ärgerlich, weil sie sich nicht für seine Geschichte interessierte? »Er hat nicht mehr richtig Fuß gefaßt in dieser Stadt. Australien sei besser, sagte er ständig. Aber dorthin zurück wollte er auch nicht mehr. Anfangs hat er wieder als Maurer gearbeitet, doch dann wurde ihm die Arbeit zu schwer. Schließlich kaufte er ein Taxi. Ich hab es dann von ihm geerbt und den Beruf gewechselt, wie er.« Der Mann schien seinem Vater keine Träne nachzuweinen. »Nicht diesen Wagen natürlich. Der ist neu. Japanische Qualitätsarbeit!« Stolz klopfte er mit der Handfläche aufs Lenkrad.
    »Was haben Sie vorher gemacht?«
    »Lagerverwalter.«
    Mia nickte. Sie konnte sich nicht vorstellen, daß die Arbeit in Lagerhallen Spaß machte. Aber ob Taxifahren besser war?
    »Im Hafen?« fragte sie.
    »Nein. Mitten in der Stadt. Bei einem verrückten Waffensammler. Vom deutschen Maschinengewehr über Panzer, U-Boote und Flugzeuge hatte der alles. Nur kein Geld. Heute ist seine Sammlung ein Museum. Das ›Museum des Krieges für den Frieden‹ hat er es getauft. Und ›Zur Abschaffung des Todes‹.« Der Fahrer lachte spöttisch. »Er hat es nicht mehr erlebt. Er ist in seiner Lagerhalle verbrannt. Vermutlich hat man ihn umgebracht. Den Täter hat man nie gefunden, ein Motiv auch nicht.«
    »Kein Täter handelt ohne Motiv«, sagte Mia leise. Während ihres Studiums in Sydney hatte sie genügend Fälle analysiert, bis sie beschloß, doch nicht Strafverteidigerin zu werden. Dann also Staatsrecht. Doch auch damit kam sie nicht voran.
    »Das stimmt schon, doch wie soll man einen Mörder finden, wenn man nicht einmal das Motiv kennt. Vielleicht war es wirklich nur ein Kurzschluß, wie immer behauptet wurde. Man wird es nie herausfinden. Der Mann war ein verrückter Kauz. Sein Bett war ein Sarg!«
    »Wie spät ist es?« Mia wollte die immer toller klingende Geschichte nicht hören.
    »Kurz vor zehn. Wir sind gleich da. Kennen Sie die Straße? Sonst muß ich im Stadtplan nachschauen. Ich komme nur selten in diese Gegend.«
    Wie sollte sie sich erinnern? Mia schüttelte lediglich den Kopf.
    »Andere sagen, man hätte ihn wegen der Risiera umgebracht. Dem KZ in der Stadt. Er wußte wohl, wer die Täter waren.« Der Taxifahrer faltete den Stadtplan zusammen und fuhr wieder an.
    »Wissen Sie nun, wie Sie fahren müssen?« Mia ging das Geschwätz des Mannes auf die Nerven.
    »Wir sind bald da«, sagte er. »Die Arbeit bei dem Mann war übrigens fürchterlich. Ständig wurde etwas gestohlen, und immer hatte er mich in Verdacht. Er war ein mißtrauischer Kerl.«
    Als sie endlich am neuen Hafen auf die Schnellstraße hinauffuhren, die die Wohnblocks und das Industriegebiet auf der Rückseite der Stadt überbrückte, erinnerte sie sich plötzlich doch wieder an den Weg.
    Sie bogen in eine kleine Straße, die ins Dorf hinaufführte. Sie wies auf ein grüngestrichenes Tor, von dem die Farbe abblätterte.
    »Sind Sie sicher, daß es hier ist?« fragte der Taxifahrer, als er ihren Koffer auf dem Trottoir abstellte. »Wohnt hier wirklich jemand?« Man sah dem Tor an, daß es lange nicht geöffnet worden war.
    »Keine Sorge«, sagte Mia und lächelte, während sie den Schlüssel aus ihrer Handtasche kramte. »Meine Tante geht nicht mehr aus.«
    »Dann wünsche ich schöne Ferien, und wenn Sie ein Taxi brauchen, rufen Sie mich an. Hier ist meine Karte.«
    »Sie ist tot«, sagte Mia und nahm den Koffer auf.
    »Wer?« fragte der Mann erschrocken.
    »Die Tante. Guten Abend.«
    Alda, die Tante ihrer Mutter, war vor vier Jahren verstorben. Mia
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