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Der Tod wartet

Der Tod wartet

Titel: Der Tod wartet
Autoren: Agatha Christie
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kann.»
    Der Fremde sagte herzlich:
    «Ich finde es großartig, dass Sie überhaupt so viel schaffen, Mrs Boynton!»
    Mrs Boynton ließ ein bedächtiges, pfeifendes Glucksen hören, das beinahe hämisch klang.
    «Ich gebe meinem Körper eben nicht nach! Das, worauf es ankommt, ist der Geist! Jawohl, der Geist…»
    Ihre Stimme erstarb. Gérard sah, wie Raymond Boynton nervös zuckte und sich dann erkundigte: «Waren Sie schon an der Klagemauer, Mr Cope?»
    «Aber ja, das war eine der ersten Stätten, die ich besucht habe. Ich hoffe, Jerusalem in einigen Tagen abgehakt zu haben, und lasse mir bei Cook’s gerade eine Rundreise zusammenstellen, damit ich alles vom Heiligen Land sehe – Bethlehem, Nazareth, Tiberias, See Genezareth. Das wird sicher ungeheuer interessant. Dann natürlich Gerasa, ein hochinteressanter Ruinenkomplex – aus der Römerzeit, wissen Sie. Und ich möchte mir unbedingt Petra anschauen, die rosarote Stadt, soll ein höchst bemerkenswertes Naturwunder sein, wie man so hört – und ohne den üblichen Touristenrummel –, aber man braucht eine knappe Woche, um hin- und zurückzukommen und alles gründlich zu besichtigen.»
    Carol sagte: «Ich würde zu gern hinfahren. Es muss wunderbar sein!»
    «Also ich würde sagen, dass sich ein Besuch dort eindeutig lohnt – jawohl, eindeutig.» Mr Cope hielt inne, warf rasch einen leicht zweifelnden Blick auf Mrs Boynton und fuhr dann mit einer Stimme fort, die für den lauschenden Franzosen auffallend unsicher klang:
    «Ich überlege gerade, ob ich nicht einige von Ihnen dazu bewegen könnte mitzukommen. Mir ist natürlich klar, dass es für Sie zu viel wäre, Mrs Boynton, und natürlich wird der eine oder andere aus Ihrer Familie bei Ihnen bleiben wollen, aber wenn Sie Ihre Truppe sozusagen teilen würden…»
    Er hielt inne. Gérard hörte das gleichmäßige Klappern von Mrs Boyntons Stricknadeln. Dann sagte sie:
    «Ich glaube nicht, dass wir das möchten. Wir bleiben gern zusammen.» Sie sah auf. «Oder was meint ihr, Kinder?»
    In ihrer Stimme lag ein merkwürdiger Ton. Die Antworten kamen auf der Stelle. «Nein, Mutter.»
    «O nein!»
    «Nein, auf gar keinen Fall!»
    Mrs Boynton lächelte wieder auf diese merkwürdige Art und sagte: «Da sehen Sie es – sie wollen mich nicht allein lassen. Und wie steht es mit dir, Nadine? Du sagst ja gar nichts.»
    «Nein, danke, Mutter. Es sei denn, dass Lennox fahren möchte.»
    Mrs Boynton drehte den Kopf langsam nach ihrem Sohn um.
    «Nun, Lennox, was ist? Warum fahrt ihr beiden nicht mit? Nadine scheint viel daran zu liegen.»
    Lennox fuhr zusammen, blickte auf. «Ich – äh – nein, ich – ich glaube, wir bleiben lieber alle beieinander.»
    Mr Cope sagte fröhlich: «Also das nenne ich wirklich eine mustergültige Familie!» Doch in der Fröhlichkeit schwang ein hohler und gezwungener Unterton mit.
    «Wir bleiben eben gerne unter uns», sagte Mrs Boynton. Sie begann ihr Wollknäuel aufzurollen. «Ach, Raymond, wer war übrigens die junge Frau, die dich vorhin angesprochen hat?»
    Raymond schreckte nervös zusammen. Er wurde rot und dann blass.
    «Ich – ich weiß nicht, wie sie heißt. Sie – sie war im gleichen Zug wie wir.»
    Mrs Boynton begann sich langsam aus ihrem Sessel zu wuchten.
    «Ich glaube nicht, dass wir viel mit ihr zu tun haben werden», sagte sie.
    Nadine stand auf und half der alten Frau beim Aufstehen. Sie ging dabei so sachkundig und geschickt vor, dass es Gérards Aufmerksamkeit erregte.
    «Schlafenszeit», sagte Mrs Boynton. «Gute Nacht, Mr Cope.»
    «Gute Nacht, Mrs Boynton. Gute Nacht, Mrs Lennox.»
    Die kleine Prozession entfernte sich. Es schien keinem der jüngeren Familienmitglieder in den Sinn zu kommen, noch zu bleiben. Mr Cope stand da und sah ihnen nach. Auf seinem Gesicht lag ein sonderbarer Ausdruck.
    Wie Dr. Gérard aus Erfahrung wusste, sind Amerikaner von Natur aus umgängliche Menschen. Sie sind nicht so ängstlich und misstrauisch, wie Engländer es auf Reisen sind. Für einen Mann mit Dr. Gérards Taktgefühl war es daher nicht weiter schwierig, Mr Copes Bekanntschaft zu machen. Der Amerikaner war allein und, wie die meisten seiner Landsleute, bereit, umgänglich und aufgeschlossen zu sein. Dr. Gérard zückte wieder seine Visitenkarte.
    Mr Jefferson Cope war gebührend beeindruckt, als er den Namen las.
    «Dr. Gérard! Waren Sie nicht erst kürzlich in den Staaten?»
    «Im letzten Herbst. Ich habe in Harvard Vorlesungen gehalten.»
    «Natürlich! Sie sind eine der
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