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Der Tod Verhandelt Nicht

Der Tod Verhandelt Nicht

Titel: Der Tod Verhandelt Nicht
Autoren: Bruno Morchio
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Bierflasche fixierte:
Ich fahre nach Tertenia und bin bald zurück. Du kannst mich per Handy erreichen. Papa
.
    Nachdem ich die dunkle Brille aufgesetzt hatte, stieg ich auf die Vespa und fuhr mit Vollgas los. Inzwischen war die Hitze noch stärker geworden, und unter der fürchterlich stechenden Sonne schien der Asphalt regelrecht zu glühen. Darüber hing wie eine dunstige Glocke der opalfarbene Himmel. Die Berge hatten in der flimmernden Schwüle all ihre Tiefe eingebüßt und wirkten wie leere, auf eine Kinoleinwand projizierte Umrisse.
    Auf der Straße herrschte kein Verkehr. Oben auf dem Arco di Sarrala hielt ich kurz an. Der Meerblick, der sich mir von hier aus bot, gab mir ein Stück Gelassenheit zurück. In meinem chaotischen Leben zählte er zum Schönsten, was ich je gesehen hatte, und war  etwas, das ich tief in meinem Herzen trug. Der Arco di Sarrala war ein Ort, an dem man neue Kräfte tanken und der Existenz wieder ein bisschen Sinn abgewinnen konnte, hier verging die Zeit so langsam, dass sie fast stehen zu bleiben schien, kleine, scheinbar unbedeutende Dinge zogen wieder meine Aufmerksamkeit auf sich und traten so aus dem Limbus heraus, in den ein rastloser, sinnentleerter Alltag sie verbannt hatte. Das Zirpen einer Grille oder Zikade. Der Gesang einer Nachtigall. Der hohe Flug eines Falken. Das Leben reduzierte sich hier wieder auf das Wesentliche: essen, trinken, ein gutes Buch. Mehr oder weniger so, wie es damals im Gefängnis gewesen war, nur dass ich allein entscheiden konnte, wann ich was machte. Und dazu wurde ich noch jeden Morgen vom Meer geweckt. Es rief mich, indem es sanft an den Sandstrand schwappte, und lockte mich mit dem Versprecheneines Bades, warm und weich wie eine mütterliche Umarmung.
    Im Dorf, das völlig leer und verlassen dalag, war keine Menschenseele zu sehen, nicht einmal vor den zahlreichen Bars, die sich auf der Hauptstraße aneinanderreihten. Virgilio hatte mir erklärt, dass Aristarco kein eigenes Büro besitze. Er brauche keines. Für gewöhnlich halte er sich in einer der Bars im Zentrum des Ortes auf, inmitten von Rentnern, Bauern und Hirten, und wickle dort auch seine Geschäfte ab. Als ich am Straßenrand den alten Ford Escort stehen sah, fuhr ich rechts ran und parkte die Vespa.
    Die Bar war so gut wie leer. Nur vier alte Männer, jeder eine
coppola
auf dem Kopf, spielten schweigend
scopone
. Am Tresen stand ein dünner, ganz in Schwarz gekleideter junger Mann, wahrscheinlich ein Hirte. Er trank Bier und verfolgte leicht zerstreut eine Klatschsendung im Fernsehen.
    Aristarco saß im hinteren Teil des Lokals und war ganz in das Studium einiger großer Papierbögen vertieft. Vor ihm auf dem Tisch befanden sich außerdem noch ein Bierglas und eine alte Ledermappe voller Schreibutensilien. Zielstrebig ging ich auf ihn zu. Er bemerkte mich erst, als ich direkt vor ihm stand.
    Mit leicht verärgertem Gesichtsausdruck sah er auf.
    »Was tun Sie denn hier?«
    »Ich muss mit Ihnen reden.«
    »Nehmen Sie Platz«, erwiderte er unwirsch und deutete auf einen leeren Stuhl auf der anderen Seite des Tisches. Im Gegensatz zu Madame Ganci schien Aristarco meine Worte vom Abend zuvor ganz und garnicht verdaut zu haben. Er nahm die Brille ab und ließ sie in der Brusttasche seines Hemdes verschwinden.
    Ich bestellte eine Flasche Ichnusa und setzte mich. Mein Gegenüber ließ sich nicht einmal dazu herab, die Papiere und die Ledermappe etwas zur Seite zu schieben.
    »Ich habe mit Otello Ganci gesprochen«, begann ich.
    »Na, das ist ja mal ganz was Neues«, gab er sarkastisch zurück.
    »Glauben Sie etwa immer noch, dass ich für ihn arbeite? Ich dachte, Martine Ganci hätte Sie inzwischen aufgeklärt. Ihr zu vertrauen, sind Sie ja wohl verpflichtet. So ist es doch, oder?«
    »In meinem Beruf habe ich gelernt, dass man niemandem trauen darf.«
    »Da scheinen Sie aber einen ziemlich miesen Beruf zu haben. Fast noch schlimmer als meiner. Ich vertraue wenigstens hin und wieder mal jemandem.«
    »Kommen Sie zur Sache.«
    Sein eisiger Ton stand in krassem Gegensatz zu der schwülen Luft in der Bar, die nach kaltem Tabak stank. Zwar hielten Besitzer und Gäste sich an das Rauchverbot, doch der Geruch nach Zigarren und Zigaretten, die hier über Jahre hinweg geraucht worden waren, hatte sich für immer in den Polstern und Wänden festgesetzt. Der Wirt, ein kleiner, untersetzter Mann mittleren Alters mit dunklem Teint und ungepflegtem Bart, servierte mir die Bierflasche mit einem Glas und
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