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Der Tod Verhandelt Nicht

Der Tod Verhandelt Nicht

Titel: Der Tod Verhandelt Nicht
Autoren: Bruno Morchio
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Heroin.«
    Sie begleitete mich zur Wohnungstür. Bevor ich die Stufen hinunterging, rutschte mir noch ein letzter Rat heraus.
    »Erzählen Sie herum, dass der Richter noch mal ein Auge zudrückt, wenn Valentino sich innerhalb einer Woche meldet.«
    »Wirklich?«
    »Ja, das hat er versprochen.«
    Gina Aliprandi hatte mir versichert, dass der Richter geistig sehr beweglich sei und einen gesunden Menschenverstand habe. Und außerdem war er wohl nicht ganz unempfänglich für die Reize einer flotten Fünfzigjährigen, die ungebunden und obendrein äußerst geschickt darin war, den Ballast ihrer feministischen Überzeugungen abzuwerfen, sofern es sich für ihre Arbeit als nützlich erwies.

Ein Land, das nach Zistrosen und Myrte duftet
    Ich saß auf der Piazza San Donato an einem Tischchen der Cafeteria »Le Corbusier«, vor mir einen Elsässer Gewürztraminer, und wartete auf die Rechtsanwältin Gina Aliprandi. Meine Charatan-Pfeife hatte ich wie immer mit englischem Tabak gestopft, und ihr Rauch stieg in langsamen Spiralen hinauf zu den Dachterrassen, auf denen wie leuchtende Farbtupfer Geranien blühten. Es war fast neunzehn Uhr, in der sommerlichen Luft lag der süße Duft von Glyzinien und Jasmin, und die ersten Jugendlichen – die Vorhut der freitäglichen Nachtschwärmer  – kamen schon die Hauptstraße herunter, um auf der Piazza ihre Altersgenossen zu treffen, während diejenigen nach Hause eilten, die das Wochenende in ihren vier Wänden einläuten wollten. Diejenigen, die schon über vierzig waren. So wie ich.
    Gina kam wie üblich mit über einer halben Stunde Verspätung. Sie trug eines ihrer typischen Afterwork-Outfits: ausgewaschene Jeans und ein malvenfarbenes Poloshirt. Morgens zauberte die Frau Anwältin hingegen einen ganz anderen Kleidungsstil aus dem Schrank: Kostümjäckchen und atemberaubende Miniröcke, die sie – ebenso wie ihren Körper, über den die Jahre auf Zehenspitzen hinweggehuscht zu sein schienen – ganz gezielt einsetzte, um die Männerbastion Gericht zu stürmen.
    Genoveffa Aliprandi, genannt Gina. Wir kannten uns seit der Schulzeit und hatten uns nie aus den Augen verloren, auch weil sie hin und wieder aus beruflichen Gründen auf mich zukam: Für einen Anwalt ist es immer praktisch, wenn er einen erfahrenen Privatdetektiv an der Hand hat. Sie ist eine Freundin allererster Güte, die liebe Gina. Eine echte Genießerin  – beim Essen, und noch viel mehr beim Trinken und Rauchen. An manchen Abenden war sie selbst einem Joint gegenüber nicht abgeneigt. Als Single und eingefleischte Feministin behandelte sie Männer sowohl vor Gericht als auch im Bett wie Toilettenpapier. Einmal benutzen und dann entsorgen. Mit Ausnahme weniger ausgewählter Freunde, die eine Rolle zwischen Leibwächter und Seelentröster einnahmen. Und die sie weder vor Gericht noch in ihr Bett zerrte. Dazu gehörte auch ich.
    Die Schwelle zu den Fünfzigern hatte sie mit einer Lebenslust überschritten, die mich immer wieder aus der Fassung brachte. So, als ob alle Tiefschläge des Lebens spurlos an ihr vorübergegangen wären. Eine reine Seele, der sie die Schutzhülle des gesunden Menschenverstandsübergestülpt hatte, so, wie man sich ein Präservativ überzieht.
    »Entschuldige die Verspätung, ich habe im Stau gesteckt«, begrüßte sie mich ohne die geringste Hoffnung, dass ich ihr glaubte, als sie sich am Tisch niederließ.
    Dann zündete sie sich eine Zigarette an. Eine Zeit lang hatte sie nur französische Marken wie Gauloises oder Gitanes geraucht, vorzugsweise mit Maispapier. Genau wie mein Freund Salvatore Pertusiello, seines Zeichens Leiter der Mordkommission. Einer der vielen, die vor dreißig Jahren einen Parka angezogen und vor den Schulen und der Uni Flugblätter verteilt hatten. Er war dem schwarzen Tabak seiner Jugend treu geblieben, während Gina zu ultralight übergegangen war und das in demselben Maße bedauerte wie ein Alkoholiker, der gezwungen ist, zum Aperitif Tomatensaft zu trinken.
    »Was nimmst du?«, fragte ich und kippte den letzten Schluck Wein hinunter, der inzwischen fast lauwarm war.
    Sie warf einen Blick auf die große Armbanduhr, die ihrem Vater gehört hatte.
    »Und du?«
    »Was hältst du von einem Negroni auf Eis?«
    »Au ja, und dazu ein paar Häppchen, damit ich mir den Bauch vollschlagen kann. Ich habe nämlich das Mittagessen ausfallen lassen, und mir hängt der Magen in den Kniekehlen.«
    Ich stand auf und ging in die Bar, um zu bestellen. Als ich mich wieder
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