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Der Tod Verhandelt Nicht

Der Tod Verhandelt Nicht

Titel: Der Tod Verhandelt Nicht
Autoren: Bruno Morchio
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haben mochte, bevor das alles passiert war. Sie war noch ein halbes Kind. Ein Mädchen aus der Vorstadt, das sich in einen Jungen aus der Vorstadt verliebt hatte. In einen dieser kleinen Reviermacker. Den Sohn eines Bankräubers, der schon auf den Titelseiten der Gazetten gelandet war, als der Kleine noch nicht einmal zehn Jahre alt war. Ein Halbwaise, aufgewachsen in einem Viertel, wo die Lücke, die ein zu zwanzig Jahren Haft verurteilter Vater hinterlässt, nur durch zwei Dinge gefüllt werden kann: durch Verbrechen oder Heroin. Valentino hatte sich für Letzteres entschieden. Er hatte angefangen, sich das Zeug zu spritzen, als er noch die Schulbank in der Mittelstufe drückte. Um sich den Stoff zu besorgen, tat er das, waskleine Halunken wie er eben so tun: hin und wieder ein kleiner Diebstahl, hier und da ein bisschen dealen. Schließlich das Übliche: Entzug, Betreuung durch den Sozialdienst, Jugendstrafanstalt. Als er einen Anwalt brauchte, wandte er sich an meine Freundin Gina Aliprandi. Sie hatte sich schon für seinen Vater ins Zeug gelegt, war sogar nach Sassari gefahren, um ihn zu verteidigen. Und nun setzte sie sich auch für den Sohn ein. Sie hatte für ihn Hausarrest erwirkt und ihm sogar eine Arbeit als Bauhelfer besorgt. In der Zwischenzeit hatten Valentino und seine Freundin nämlich ein Kind in die Welt gesetzt. Aber nach drei Monaten war er verschwunden.
    Die junge Frau hantierte schon eine ganze Weile schweigend am Herd herum.
    »Können Sie mir bitte eins erklären?«, sagte sie auf einmal unvermittelt und warf mir über die Schulter einen schiefen Blick zu. Inzwischen hatte der Espressokocher angefangen zu brodeln. »Wieso gebt ihr euch eigentlich solche Mühe? Valentino ist doch bloß ein kleiner Junkie. Er wird irgendwo auf der Straße hocken, mit einer Spritze im Arm. Das war bis jetzt jedes Mal so.«
    »Macht Ihnen die Vorstellung, zwei Kinder alleine großzuziehen, nichts aus?«
    »Und ob mir das was ausmacht! Bloß dass es am Ende aufs Gleiche hinausläuft.«
    »Wieso?«
    »Na ja, ist doch egal, ob sie als Waisen aufwachsen oder als Kinder von einem Drogenabhängigen.«
    Sie brachte den dampfenden Espressokocher zumTisch und stellte ihn auf einen Topflappen, weit genug weg von den nackten Füßen des Kindes. Dann ging sie zum Küchenschrank, um zwei Tassen und die Zuckerdose zu holen.
    »Zucker?«, fragte sie mich, während sie den Kaffee eingoss.
    »Nein, ich trinke ihn schwarz, danke.«
    Aus der Tischschublade nahm sie einen Teelöffel, setzte sich und gab zwei gehäufte Löffel Zucker in ihre eigene Tasse.
    »Mein Leben ist so schon schwarz genug.«
    Ich lächelte ihr zu und suchte den Blick ihrer großen dunklen Augen, doch vergeblich. Sie mieden mich. Die gesenkten Lider verliehen ihr etwas Schutzloses, was mich eigentlich hätte weich stimmen müssen. Vielleicht war sie ja schüchtern. Vielleicht aber auch einfach nur jung.
    »Warum fragen Sie mich nicht, von wem ich bezahlt werde?«
    »Weil ich es schon weiß. Von Signora Aliprandi, der Anwältin meines Schwiegervaters.«
    »Ich sehe, Sie sind gut informiert. Wissen Sie denn auch, warum Ihr Schwiegervater beschlossen hat, mich anzuheuern?«
    Sie hatte ihren Kaffee ausgetrunken, und als sie die Tasse abstellte, schaute sie zu ihrem Kind und ließ den Blick liebevoll auf ihm ruhen. Ein Madonnenantlitz wie von Raffael gemalt. Dann fuhr sie sich mit der Zunge über die Lippen und schenkte mir ein unschuldiges, ausweichendes Lächeln.
    »Tja, man tut eben so einiges für seinen Sohn.«
    »Auch wenn er seine Seele für ein paar Gramm Heroin verkauft hat?«
    »Das eigene Kind bleibt das eigene Kind.«
    Der Kleine hatte inzwischen zu weinen aufgehört und saß still da. Aus einem Impuls heraus ballte ich die Faust und hieb mit voller Wucht auf den Tisch, sodass Tassen, Zuckerdose und die Nuckelflaschen in die Luft hüpften. Das Kind schrak zusammen und fing aus vollem Hals an zu schreien. Nun brüllte auch ich, und zwar ohne Rücksicht auf Verluste.
    »Glauben Sie wirklich, Sie können mich für dumm verkaufen?«
    »Drehen Sie jetzt völlig durch? Sie erschrecken den Kleinen!«
    »Kommen Sie mir bloß nicht so. Wissen Sie, wie viel ich koste? Mindestens fünfhundert Euro am Tag. Sie glauben doch wohl nicht im Ernst, dass irgendjemand bereit ist, so eine Summe lockerzumachen, bloß, damit ich hier mit Ihnen Kaffee trinke!«
    Nun war sie es, die mit der flachen Hand auf den Tisch schlug. Sie sprang auf und richtete einen Blick auf mich, der
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