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Der Tod kommt in schwarz-lila

Titel: Der Tod kommt in schwarz-lila
Autoren: Ulrich Hefne
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nächsten Tag dauern«, antwortete sie eingeschüchtert. »Seit Stunden überlege ich schon, ob ich Sie anrufen soll.«
    *
    Trevisan schaute sich um. Die Leiche des alten Mannes lag hinter einer Sanddüne und war vom Weg aus nicht zu sehen. Der Tote lag auf dem Rücken. Seine Augenhöhlen waren leer. Tiefe Wunden bedeckten sein Gesicht. Der Hals war auf der rechten Seite nur noch ein Klumpen aus blutigem Gewebe. Der Knochen der Wirbelsäule war fast freigelegt. Neben der Leiche lag eine große Tasche. Filme, mehrere Objektive und sonstiges Zubehör befanden sich darin. Der Fotoapparat lag in der Nähe seiner Beine und sah aus wie ein Teleskop. Ein riesiges Objektiv war aufgeschraubt. Ein Fernglas und eine Taschenlampe lagen im Sand.
    »Ich sag dir, es war eine wahre Schufterei, bis wir die Ausrüstung endlich auf die Insel geschafft hatten«, beschwerte sich Kleinschmidt.
    Trevisan beugte sich zum Opfer hinab. Vorsichtig begann er die Taschen des Toten zu durchsuchen.
    »Wir haben die Taschen schon geleert«, sagte Kleinschmidt. »Ein Taschenmesser, eine Packung Hustenbonbons und eine Brieftasche. Ausweis, Führerschein, Scheckkarte und dreihundertsieben Mark. Wir haben alles in Tüten gepackt.«
    Trevisan erhob sich. Ihm war schlecht. Der Anblick von Leichen machte ihm nicht viel aus, sie gehörten zu seinem Beruf. Aber etwas anderes lag in der Luft. Er hatte es schon den ganzen Tag über gespürt. »Weißt du schon, wie es passiert ist?«
    »Massiver Angriff mit einem scharfkantigen Gegenstand gegen den Hals. Vermutlich stand er auf der Düne, als er getötet wurde. Er muss nach hinten gefallen sein, denn auf dem Weg gibt es starke Einblutungen im Sand. Anschließend wurde er hierher gebracht. Der oder die Täter haben sich keine besondere Mühe gegeben, die Leiche zu verstecken.«
    »Auf Geld oder Wertsachen hatte es der Mörder offensichtlich nicht abgesehen«, erwiderte Trevisan nachdenklich.
    »So wie das hier aussieht, scheint es nur wenige Ansatzpunkte zu geben. Das wird eine harte Nuss«, sagte Kleinschmidt mit Bedauern.
    »Was glaubst du, war es Zufall oder ein gezielter Anschlag?«
    »Das Spurenbild gibt keinen Aufschluss darüber.« Kleinschmidt wandte sich um, als sein Name gerufen wurde.
    Hanselmann, sein Mitarbeiter, kam angelaufen. In der Hand hielt er eine kleine Tüte. »Das haben wir da oben gefunden. Wahrscheinlich hat der Tote dort gestanden. Es lag genau im Fallwinkel der versickerten Blutlache. Vielleicht ist es eine Spur.«
    Kleinschmidt griff nach dem Tütchen und untersuchte den kleinen runden Gegenstand durch das Plastik hindurch. Nachdenklich fuhr er sich durch seine spärlichen Haare. Dann reichte er den Beutel an Trevisan weiter.
    Trevisan schaute verdutzt auf den kleinen Metallring. »Was ist das?«
    »Ich weiß es nicht, aber wir werden es herausfinden«, antwortete Kleinschmidt.
    Wenig später trug der Wind die ersten Regentropfen heran. Fluchend zog Trevisan seinen Kragen höher. Er blickte auf die Uhr. Kurz nach Mitternacht.
    *
    Sie polterten und tanzten in seinem Kopf. Das Hämmern wurde unerträglich. Er nahm das Bild in seine Hand und schaute in das lächelnde Gesicht des fremden Mannes. Dann warf er es zurück auf den Tisch.
    »Vater, lass mich in Ruhe. Ich habe doch alles getan. Aber du hörst einfach nicht auf. Lass mich. Ich will nicht mehr!«, schrie er in das leere Zimmer. Sein Kopf schien zu platzen. Der Magen krampfte. Dann kam das hässliche, fratzenhafte Gesicht erneut auf ihn zu. Es wollte nach ihm greifen. Ein Gesicht, ohne Arme und ohne Hände. Es kam immer näher und er spürte einen eiskalten Hauch, der von ihm Besitz nehmen wollte. Sein Magen rebellierte. Er erbrach die Mahlzeit, die er eben erst eingenommen hatte.
    Das Gesicht gönnte ihm keine Ruhe. »Blut für Blut!«, kreischte es in ihm. Er erhob sich aus seiner kauernden Haltung und taumelte zu dem kleinen Tisch in der Ecke. Zwei Tabletten mussten genügen. Er hatte nicht mehr viele und sie waren schwer zu besorgen. Bald würde er wieder Ruhe finden, doch noch musste er abwarten. Er brauchte Geduld – Geduld, bis das Opfer eingekreist und der Zeitpunkt gekommen war. Nur abends, wenn ihn eine abgrundtiefe Leere umgab, wenn er nicht mehr mit Planen und Taktieren beschäftigt war, dann kamen die Gesichter aus ihrer düsteren Schattenwelt hervor. Sie ließen ihn nicht in Ruhe. Vielleicht wäre es eine Erlösung, wenn er die ganzen Tabletten auf einmal nähme, dann hätte er ewige Ruhe. Aber nein, er wollte
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