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Der Tod kommt in schwarz-lila

Titel: Der Tod kommt in schwarz-lila
Autoren: Ulrich Hefne
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nicht schon wieder versagen. Die Rechnung war noch nicht beglichen. Nein, er konnte diesen Schritt nicht tun. Jetzt noch nicht.
    Er nahm einen kräftigen Schluck aus der Flasche. Der Alkohol brannte im Hals, doch er tat gut. Er griff nach dem kleinen, roten Notizbuch und schlug die Seiten auf. Dort stand ein Name in krakeliger Schrift. Es war nicht leicht gewesen, alle Namen der Schuldigen in Erfahrung zu bringen. Aber er hatte es geschafft. Sie konnten ihm nicht mehr entkommen.
    Er ging hinüber zu der Matratze und legte sich hin. Er dachte an seine Mutter. Ihr erschrockener Blick, als sie damals die Tür öffnete. Sie hatte es nie verwunden, genauso wenig wie Vater. Doch sie hatten sich geirrt. Niemand hatte ihm geglaubt. Jetzt würde er es beweisen können. Vor dem höchsten Gericht gab es keine Lügen mehr. Hier gab es nur noch Wahrheit. Die reine Wahrheit. Er freute sich auf diesen Tag. Noch lag er fern. Noch gab es viel zu tun, bevor die letzte Verhandlung einberufen werden konnte.
    Das abscheuliche Gesicht war verblasst. Es war wie weggezaubert, doch er wusste, dass es irgendwo in der Dunkelheit auf ihn lauerte. Nur nicht nachgeben, dachte er. Unruhig erhob er sich. Zum Ausruhen war noch keine Zeit. Draußen heulte der Wind ums Haus und peitschte den Regen gegen die hölzernen Wände. Erneut ergriff er die Flasche, doch diesmal stellte er sie nicht zurück auf den Tisch. Er nahm sie mit auf sein Lager.
    Ein weiterer Schluck. Er spürte langsam die entspannende Wirkung. Die Zeiger des alten Weckers wanderten unaufhörlich voran. Endlich erfüllte die Wärme aus der Flasche auch seinen Geist. Langsam und kontrolliert ging sein Atem. Er schlief mit dem Gedanken ein, dass das fratzenhafte Gesicht lächeln und für immer seine schreckliche Maske verlieren sollte. Für immer sollte es glückselig werden.
    Er würde dafür sorgen.
    Bald.
    *
    Sie saßen um den langen Konferenztisch und blickten einander ratlos in die übernächtigten Gesichter. Es war kurz nach acht Uhr. Trevisan fror und fuhr sich mit den Händen durch das feuchte Haar. Sie hatten noch bis zum frühen Morgen ausgeharrt, bis das Polizeiboot wiedergekommen war, um sie abzuholen. Die Tatortarbeit war erledigt. Die Leiche befand sich auf dem Weg in die Pathologie. Trevisan hoffte auf schnelle Ergebnisse, doch außer dem Namen des Toten hielten sie nicht viel in den Händen.
    Wer war der Tote? Welche Geschichte verknüpfte sich mit diesem Namen? Was wollte er zu dieser unchristlichen Zeit draußen in den Dünen? Hatte dort der Tod auf ihn gelauert oder war er nur zufällig über ihn gekommen?
    Trevisan wusste, dass keine leichte Aufgabe vor ihm lag.
    Alex Uhlenbruch hatte das Zimmer des Toten ausfindig gemacht, doch von der Vermieterin war nicht viel über ihn zu erfahren. Mit Sicherheit wusste sie nur, dass Rudolf Gabler am vergangenen Freitag die Pension nach 21.15 Uhr verlassen hatte. Er war alleine hinaus in die Nacht gegangen. Es musste wichtig für ihn gewesen sein. Doch was genau er vorgehabt hatte, das konnte Frau Melsung nicht sagen. Gabler war schon im letzten Frühjahr und im Herbst Feriengast bei ihr gewesen. Er war stets alleine gekommen und meist hinaus in die Dünen gegangen. Den Fotoapparat und das Fernglas hatte er immer bei sich getragen. Eines war klar: Gabler war nicht hier gewesen, um Urlaub zu machen. Er hatte ein bestimmtes Ziel verfolgt, dessen war sich die Pensionsbesitzerin sicher. Aber was genau er tat, danach hatte sie ihn nie gefragt. Jedes Mal hatte er nach dem Aufenthalt bar bezahlt und eine Quittung verlangt. Einmal hatte er erwähnt, dass er die Quittung zur Abrechnung brauche.
    Aus den zurückgebliebenen persönlichen Dingen konnte nur ein Rückschluss gezogen werden: Er war ein ordentlicher Mensch gewesen. Das Zimmer und auch das Bad waren aufgeräumt und sauber. Seine Kleidung hatte er bereits akkurat in seinem Koffer verstaut. Seine Abreise hatte bevorgestanden. Im Bad hatten sie Zahncreme, eine Zahnbürste, einen Kamm, Seife, Shampoo und einen Rasierapparat gefunden. Auf der Ablage vor dem Spiegel herrschte Ordnung. Im Koffer auf der Kleidung lag ein Bild von einer Frau um die fünfzig. Mehr fanden sie nicht.
    Bislang wusste Trevisan nicht einmal, ob Gabler Angehörige hatte. Nach dem Bericht der Polizeistreife, die zur Adresse des Toten geschickt worden war, hatte Gabler in einem Mehrfamilienhaus im Westen von Jever gewohnt. Außer Gabler standen noch drei weitere Namen auf den Briefkästen neben der Tür. Gabler
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