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Der Tod ist mein Beruf

Der Tod ist mein Beruf

Titel: Der Tod ist mein Beruf
Autoren: Robert Merle
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einer Schule schlafen. Von da an wurde der Exodus zu einem wahren Alpdruck; von der einen Seite rückten die Russen heran, von der anderen die Engländer und Amerikaner, und wir mußten unaufhörlich vor dem vordringenden Feind zurückweichen. In Flensburg erinnerte ich mich plötzlich daran, daß unsere ehemalige Lehrerin in Auschwitz, Frau Müller, in Apenrade wohnte. Ich brachte Elsie und die Kinder sofort hin, und Frau Müller war so liebenswürdig, sie zu beherbergen. Ich fuhr allein mit Dietz nach Mürwick, und dort sah ich, zusammen mit den obersten Führern der Amtsgruppe, Himmler zum letztenmal. Er erklärte, er habe keine Befehle mehr für uns. Kurz darauf überbrachte man mir ein Marinesoldbuch mit einem falschen Namen und verschaffte mir die Uniform eines Bootsmannes. Befehlsgemäß legte ich sie an, nahm es aber auf mich, meine Uniform als SS-Offizier in meinem Gepäck aufzubewahren. Am 5. Mai erhielt ich Befehl, mich nach Ranturn zu begeben. Ich kam dort am 7. an, und wenige Stunden nach meiner Ankunft erfuhr ich, daß Feldmarschall Keitel in Reims die bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht unterzeichnet hatte Von Ranturn überwies man mich nach Brunsbüttel. Dort blieb ich ein paar Wochen, und da auf meinem Ausweis stand, daß ich in Zivil Gutspächter wäre, demobilisierte man mich am 5. Juli und schickte mich auf ein Gut in Gottrupel zu einem gewissen Georg Pützler. Auf dem Gut arbeitete ich acht Monate. Es war eine ganz stattliche Wirtschaft, deren Pferde in recht gutem Zustand waren, und als Georg erfuhr, daß ich in einem Gestüt angestellt gewesen war, vertraute er mir ihre Pflege an. Ich entledigte mich dieser Aufgabe mit dem größten Vergnügen, und Georg, bei dem ich auch wohnte, behauptete lachend, daß, wenn ich nicht bei meinen Tieren im Stall schliefe, es bloß geschähe, um ihn nicht zu beleidigen. Georg war ein kleiner, schon ziemlich bejahrter Mann, aber kräftig gebaut, mit einem aufgebogenen Kinn und stechenden blauen Augen. Ich kriegte rasch heraus, daß er früher einen ziemlich wichtigen Posten in der SA innegehabt hatte, und enthüllte ihm, wer ich war, und von diesem Augenblick an wurde er mir wirklich ein Freund, und wir hatten zusammen lange Unterhaltungen, wenn seine Frau nicht da war. Eines Morgens war ich allein mit den Pferden auf einer Wiese, als er plötzlich neben mir stand. Er pflanzte sich auf seinen krummen Beinen vor mir auf, sah mich an und sagte mit wichtigtuerischer Miene: "Sie haben Himmler verhaftet."
    Ich stammelte: "Sie haben ihn gekriegt?"
    "Nein", sagte Georg, "hör zu, er hat sie schön angeführt. In dem Augenblick, als sie ihn verhören wollten, hat er Selbstmord begangen."
    Ich sah ihn an, niedergeschmettert. "Siehst du", fuhr Georg fort, indem er grinste und in die Hände klatschte, "das ist ein Schlauberger, der Himmler. Er hatte eine Ampulle mit Blausäure im Mund, und die hat er zerbissen. ..fertig. Er hat sie schön angeführt!"
    rief er mit zufriedener Miene.

    Ich wiederholte: "Da hat er Selbstmord begangen."
    "Aber was hast du denn?"
    sagte Georg. "Du ziehst ein Gesicht. Er hat ihnen einen Streich gespielt, das ist alles. Du willst doch nicht sagen, daß es unrecht war?"
    Ich sah ihn an, ohne zu antworten. Georg sah mich an und rieb verlegen sein Kinn. "Ich begreife dich nicht. Es ist anständig von einem hohen Führer, Selbstmord zu begehen, wenn er gefangen wird, nicht? Das hat stets jeder gesagt. Man hat Paulus oft genug vorgeworfen, daß er es nach Stalingrad nicht getan hat. Erinnere dich! -Na, was hast du denn?"
    fuhr er nach eine Weile mit besorgter Miene fort. "Sag wenigstens etwas. Du siehst aus wie aus Stein. Du meinst doch nicht, daß es unrecht war?"
    Ich verging vor Schmerz und Wut. Ich fühlte, wie Georg mich kräftig am Arm rüttelte, und sagte tonlos: "Er hat mich verraten."
    "Der Reichsführer?"
    sagte die Stimme Georgs. Ich sah Georgs vorwurfsvolle Augen auf mich gerichtet und rief: "Das verstehst du nicht. Er hat furchtbare Befehle gegeben, und jetzt läßt er uns allein!"
    "Der Reichsführer!"
    sagte Georg. "So sprichst du vom Reichsführer?"
    "Statt sich hinzustellen. ..statt zu sagen. ..Ich bin der alleinige Verantwortliche.' So also hat er es gemacht! Wie einfach das ist! Man zerbeißt eine Ampulle Blausäure und läßt seine Leute in der Patsche sitzen."
    "Aber du willst doch trotzdem nicht sagen. .."
    Ich fing an zu lachen. "Meine Ehre heißt Treue! Ja, ja, für uns! Nicht für ihn! Für uns das Gefängnis, die
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