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Der Tod ist mein Beruf

Der Tod ist mein Beruf

Titel: Der Tod ist mein Beruf
Autoren: Robert Merle
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schüttelte er den Kopf und sagte mit ernster, bekümmerter Miene: "
    Wie erklären Sie, daß Sie dazu haben kommen können?"
    Ich dachte nach und sagte: "Man hat mich wegen meines Organisationstalents ausgewählt."
    Er blickte mich fest an, seine Augen waren blau wie die einer Puppe, er schüttelte den Kopf und sagte: "Sie haben meine Frage nicht verstanden."
    Er fuhr nach einer Weile fort: "Sind Sie immer noch so überzeugt, daß es nötig war, die Juden auszurotten?"
    "Nein, ich bin nicht mehr so überzeugt davon."
    "Warum nicht?"
    "Weil Himmler Selbstmord begangen hat."
    Er sah mich erstaunt an, und ich fuhr fort: "Das beweist, daß er kein wahrer Führer war, und wenn er kein wahrer Führer war, kann er mich sehr wohl auch belogen haben, als er mir die Ausrottung der Juden als notwendig hinstellte."
    Er erwiderte: "Folglich, wenn es noch einmal getan werden sollte, würden Sie es nicht wieder tun?"
    Ich sagte energisch: "Ich würde es wieder tun, wenn ich dazu den Befehl erhielte."
    Er sah mich eine Sekunde lang an, seine rosige Hautfarbe ging in ein lebhaftes Rot über, und er sagte entrüstet: "Sie würden also gegen Ihr Gewissen handeln?"
    Ich stand stramm, sah geradeaus und sagte: "Entschuldigen Sie, ich glaube, Sie verstehen meinen Standpunkt nicht. Ich habe mich mit dem, was ich glaube, nicht zu befassen. Meine Pflicht ist, zu gehorchen."
    Er rief: "Aber nicht solch entsetzlichen Befehlen! Wie haben Sie das tun können! Es ist ungeheuerlich. ..Kinder. ..Frauen. ..Sie empfanden also gar nichts dabei?"
    Ich sagte müde: "Man legt mir diese Frage immer wieder vor."
    "Nun, was antworten Sie da gewöhnlich?"
    "Es ist schwer zu erklären. Anfangs hatte ich ein peinliches Gefühl. Dann habe ich allmählich jedes Empfindungsvermögen verloren. Ich glaube, das war nötig. Sonst hätte ich nicht fortfahren können. Sie müssen begreifen, ich dachte an die Juden in Einheiten, nie als an

    menschliche Wesen. Ich konzentrierte mich auf die technische Seite meiner Aufgabe."
    Ich setzte hinzu: "Etwa wie ein Flieger, der seine Bomben auf eine Stadt abwirft."
    Er sagte ärgerlich: "Ein Flieger hat nie ein ganzes Volk vernichtet."
    Ich dachte darüber nach und sagte: "Er würde es tun, wenn es möglich wäre und wenn man ihm den Befehl gäbe."
    Er zuckte die Achseln, wie um diese Annahme abzuweisen, und begann wieder: "Sie empfinden also keinerlei Gewissensbisse?"
    Ich sagte unumwunden: "Ich brauche keine Gewissensbisse zu haben. Die Ausrottung war vielleicht ein Irrtum. Aber nicht ich habe sie befohlen."
    Er schüttelte den Kopf. "Das meine ich nicht. ..Haben Sie seit Ihrer Verhaftung nicht manchmal an die Tausende armer Menschen gedacht, die Sie in den Tod geschickt haben?"
    "Ja, manchmal."
    "Nun, wenn Sie daran denken, was empfinden Sie da?"
    "Ich empfinde nichts Besonderes."
    Sein Blick heftete sich mit peinigender Intensität auf mich, er schüttelte abermals den Kopf und sagte leise, mit einer seltsamen Mischung von Mitleid und Abscheu: "Sie sind vollkommen entmenschlicht."
    Daraufhin drehte er mir den Rücken zu und ging weg. Ich fühlte mich erleichtert, als ich ihn gehen sah. Diese Besuche und Diskussionen ermüdeten mich sehr, und ich fand sie zwecklos. Nach meiner Aussage im Nürnberger Prozeß lieferten mich die Amerikaner den Polen aus. Diese legten Wert darauf, mich zu bekommen, weil Auschwitz sich in ihrem Hoheitsgebiet befand. Mein Prozeß begann am 11. März 1947, fast genau ein Jahr nach dem Tag meiner Verhaftung. Er fand in Warschau statt, in einem großen kahlen Saal mit weißen Wänden. vor mir stand ein Mikrophon, und dank den Kopfhörern, mit denen ich versehen war, hörte ich sofort die deutsche Übersetzung all dessen, was auf polnisch über mich gesagt wurde. Als die Verlesung der Anklageschrift beendet war, bat ich ums Wort, stand auf, stand stramm und sagte: "Ich bin allein verantwortlich für alles, was in Auschwitz geschehen ist. Meine Untergebenen haben keinen Teil daran."
    Ich setzte hinzu: "Ich möchte nur verschiedene Tatsachen richtigstellen, deren man mich persönlich anklagt."
    Der Präsident sagte barsch: "Sie werden in Gegenwart der Zeugen sprechen."
    Und der Aufmarsch der Zeugen begann. Ich war aufs höchste erstaunt, daß die Polen so viele geladen und sich die Mühe gemacht hatten, alle diese Leute, wahrscheinlich unter hohen Kosten, aus allen vier Himmelsrichtungen Europas kommen zu lassen. Ihre Anwesenheit war vollkommen überflüssig, da ich die Tatsachen nicht leugnete. Meiner
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