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Der Tod im Eis

Der Tod im Eis

Titel: Der Tod im Eis
Autoren: Vampira VA
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der Ansammlung flacher Betonbauten. Im allgegenwärtigen Weiß, dem die Nacht jedoch einen geheimnisvollen Stich ins Blaue verlieh, fielen die Gebäude kaum auf. Sein Blick hing wie gebannt an einem der dunklen kleinen Fenstervierecke, die wie in die weiße Wand hineingestanzte Löcher aussahen. Und in dem Grau darin schimmerten winzig kleine Lichtpunkte.
    Die elektrischen Kerzen eines kleinen Weihnachtsbaumes.
    Wenn er genau hinhörte, glaubte Murphy über dem steten Heulen des beißenden Windes sogar Stimmen zu hören. Den Gesang seiner Kollegen da drinnen: Santa Claus is comin' to town ...
    Murphy grinste. Es tat weh, weil selbst seine Lippen schon einzufrieren drohten und unter der geringsten Bewegung aufplatzten.
    O ja, dachte er, Santa Claus würde zu ihnen kommen heute nacht. Und er selbst stand hier in der eisigen Kälte als Empfangskommitee. Nur würde der Weihnachtsmann ihnen die Geschenke nicht durch den Schornstein werfen, sondern er, Murphy, würde mit zupacken müssen, um sie hinein in die Station zu tragen. Sie würden nicht aufwendig verpackt sein, die Geschenke, aber dafür waren sie lebenswichtig.
    Überlebenswichtig.
    Denn Dennis Murphy wartete natürlich nicht auf den »echten« Weihnachtsmann, sondern »nur« auf das Versorgungsteam, das ihnen regelmäßig Vorräte und technische Gerätschaften lieferten, die ihnen ihre Arbeit hier oben, rund 230 Meilen nördlich des Polarkreises, erst ermöglichten. Sie taten im Grunde nichts anderes als im Eis zu bohren und zu versuchen, möglichst große Bohrkerne herauszuholen, deren Schichten dann wissenschaftlich untersucht wurden. Der Schnee konservierte Chemikalien, Gase und atmosphärischen Staub und preßte sie schließlich zu Eis zusammen. Daraus ließen sich Erkenntnisse über die Entwicklung der Erde gewinnen. Fast 100.000 Jahre geologischer Geschichte umfaßte dieses »Eisarchiv«.
    Vor etwa vierzig Minuten hatten die beiden »Weihnachtsmänner« über Funk gemeldet, daß sie mit ihrem Schiff angelegt hatten und sich in ein paar Minuten auf den Weg zur Station machen würden. Die genaue Zeit, die sie für die kaum drei Meilen lange Strecke brauchten, ließ sich nicht schätzen. Sie differierte von Mal zu Mal. Es kam ganz auf das Wetter und die Schneehöhe und ein Dutzend anderer Unwägbarkeiten an.
    Dennis Murphy begann auf der Stelle zu hüpfen und mit den Armen gegen seinen Oberkörper zu schlagen, als wollte er gewaltsam irgendwelche Wärmereserven wecken, die noch in ihm schlummerten. Aber er fürchtete, die letzten schon vor mindestens fünf Minuten aufgebraucht zu haben.
    Was ihm half, war der Gedanke an Zuhause. An die glänzenden Augen seiner Töchter, wenn sie morgen früh ihre Geschenke auspacken würden. An den Duft nach Weihnachten, der ihr Haus in San Diego füllen würde, das Sondra, seine Frau, sicher wieder liebevoll dekoriert hatte.
    Etwas stach wie eine Nadel in die Haut dicht unterhalb seines rechten Auges. Hastig wischte Murphy die festgefrorene Träne fort. Wer hier draußen weinte, konnte diese Sentimentalität leicht mit dem Augenlicht bezahlen .
    Murphy hielt im Hüpfen inne, die Arme halb von sich gestreckt. Wie in der Bewegung gefroren stand er da, eine groteske Statue inmitten der tanzenden Flocken.
    Er hörte etwas, das zunächst fast noch im Pfeifen des Windes unterging und das er deshalb im ersten Moment für eine Täuschung hielt. Für etwas, das er gern gehört hätte, das aber noch immer auf sich warten ließ.
    Doch dann vernahm er es wieder. Und diesmal verstummte das Geräusch nicht wieder, sondern wurde beständig lauter, kam näher.
    Halbwegs erleichtert aufzuatmen erlaubte Dennis Murphy sich allerdings erst, als er den klobigen Schatten hinter dem wehenden Weiß entdeckte, der immer mehr an Kontur gewann, bis ein kettenbespanntes Fahrzeug daraus wurde. Rasselnd und dröhnend kroch der große Motorschlitten auf ihn zu.
    Foxglove und Lavrakas hatten das Gefährt in Küstennähe in einem wettergeschützten Unterstand abgestellt, um die Waren damit auf der kurzen Überlandstrecke bis zur Station zu transportieren. Eine aufwendige Aktion, die bei jeder Lieferung vonstatten ging. Der Preis, den die beiden Inuit dafür verlangten, war entsprechend gesalzen. Aber bedachte man, welche Mühen sie dafür auf sich nahmen, war er wohl auch gerechtfertigt.
    Wie ein aus dem Eis gebrochenes Ungeheuer schob sich das eigentümliche Gefährt auf Murphy zu, schien ihn aus weißglühenden Augen anzustarren. Als ihn die Scheinwerfer
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