Der Tod des Maerchenprinzen
beim Auspacken helfen, wenn er mich darum bittet. Ich werde nie mehr an der Kiste rütteln. Ich kann nur warten, ob Arne sie mir vielleicht mal von alleine aufmacht. Wenn er das nicht tut, muß ich mich damit abfinden.
Ihm sei die absolute Dominanz der Sexualität in meinem Buch aufgefallen. Er kritisiert das nicht. Er sagt das einfach so. Aber frau merkt doch, daß er da irgendwie nicht viel mit anfangen kann. Daß er das vielleicht «politisch falsch» findet, auch wenn er das nicht sagt. Ich weiß selber, daß die sexuelle Unterdrückung der Frau «nur» ein Nebenwiderspruch ist. Daß die Grundlagen der Frauenunterdrückung nicht in der Sexualität liegen. Daß die frauenverachtende Sexualität hier nur ein Instrument zur Unterdrückung der Frau ist. Das weiß ich alles selber. Aber wenn frau jahrelang in diesem «Nebenwiderspruch» eine ganz besonders massive Unterdrückung erfährt, dann kann der Nebenwiderspruch zum Hauptwiderspruch werden. Dann kann es für mich erst mal der wichtigste zu lösende Widerspruch werden. Und überhaupt ist Nebenwiderspruch nicht gleichbedeutend mit Nebensache. Auch wenn in unserer Gesellschaftsordnung die Unterdrückung der Frau ein Nebenwiderspruch ist. Für mich bestimmt dieser Nebenwiderspruch immerhin 24 Stunden meines Tagesablaufs.
Mir ist das neulich grad aufgefallen, in was für Kleinigkeiten sich das auswirkt. Als ich mit Tom in «Planten un Beton» spazierengegangen bin. Uns kommt eine Gruppe Männer entgegen, und Tom geht mitten durch sie durch. Ich wollte grade einen Bogen um sie schlagen. Fühle mich tierisch unwohl, als wir an ihnen vorbeigehen. Warte. Warte, daß was kommt. Aber es kommt nichts. Und erst in dem Moment ist mir bewußt geworden, daß ich auf das obligatorische «Hallo, Süße» gewartet habe. Auf das Pfeifen und auf das Schnalzen. Und daß es nicht kam, weil ich einen Mann neben mir gehen hatte. Daß ich «Besitz» eines anderen Mannes war. Ich habe kein Recht darauf, nicht angeschnalzt zu werden. Aber ein Mann hat das Recht darauf, daß «seine» Freundin nicht angeschnalzt wird.
Wo lebe ich hier? Mir wird erst jetzt bewußt, wie pervers meine «normale» Art des Zickzacklaufens auf der Straße eigentlich ist. Wenn ich ein Mann wäre, würde ich nicht im Slalom durch die Öffentlichkeit jonglieren. Aber ich bin eine Frau. Mir ist dieses defensive Ausweichen vor Anmachen schon so in Fleisch und Blut übergegangen, daß ich es nicht einmal mehr merke. Daß ich erst wieder mal einen Mann an meiner Seite haben muß, damit mir auffällt, was Männerfreiheit bedeutet auf unseren Straßen. Männer haben den Territorialanspruch auf die Öffentlichkeit. Frauen bestenfalls ein Transitvisum.
Was nützt mir der Hinweis auf den Nebenwiderspruch, wenn er mein Leben bis in solche Kleinigkeiten hinein beherrscht?
Auch sexuelle Unterdrückung ist ein Nebenwiderspruch. Sicher. Aber mein Leben ist durch diese Form der Unterdrückung beherrscht gewesen. Für mich war das immer das Gebiet, wo ich mich am wenigsten wehren konnte. Für mich ist das erst mal die Hauptfront geworden. Ich habe meinen Schwerpunkt auf den Kampf gegen jede Art von frauenverachtender Sexualität gelegt. Das ist mein Schwerpunkt. Ich ordne diesen Kampf in unser aller Kampf für eine menschlichere Gesellschaft ein. Ich ordne ihn ein. Aber ich ordne ihn nicht unter. Deshalb hat in meinem Buch die Sexualität die absolute Dominanz.
Arne hört mir zu. Er sagt nichts dazu. Aber an der Art und Weise, wie er nachdenklich in die Luft guckt, merke ich, daß er es wirklich in seinem Kopf ankommen läßt, was ich gesagt habe.
Aber ich kämpfe nicht nur gegen etwas. Ich kämpfe auch für etwas. Für eine andere Sexualität. Ich kann und will keine theoretischen Worte dafür finden, wie diese «andere Sexualität» aussehen soll. Es wären Schlagworte. Jeder könnte sie unterschreiben und doch etwas anderes damit meinen.
Wie diese «andere Sexualität» aussehen kann, habe ich in diesem Buch oft genug beschrieben. Ich habe sie mit sehr emotionalen Worten beschrieben. Ich habe das bewußt gemacht. Ich wollte Lust machen. Lust auf diese andere Art von Sexualität.
Frauen werden mich verstehen. Was bei Männern angekommen ist, wird sich zeigen.
Mehr konnte ich nicht tun.
Als Arne weg ist, werde ich unruhig. Stelle fest, daß ich frustriert bin. Daß ich doch mehr erwartet hatte von unserem ersten Gespräch, nachdem er den Ordner gelesen hat. Wieder einmal erwartet hatte, daß es Arne doch jetzt
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